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538 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 9. Heft. (September 1924.)
Das überraschendste Beispiel ist wohl jenes mit dem doppelt bebelichteten
Film. Eine Frau hat in einem Schwarzwaldort eine Aufnahme
ihres Söhnchens gemacht. Sie will sie zur Entwicklung in eine
Drogerie in Straßburg geben. Da sie selbst verhindert ist, sie abzuliefern
, händigt sie die Films einer russischen Studentin aus. Der
Krieg bricht aus. Die russische Studentin ist abgereist. Es ist der süddeutschen
Dame nicht möglich, die Filmstreifen zurückzuerhalten, da
sie keine Legitimation zur Aushändigung der Drogerie gegenüber besitzt.
Nach einigen Jahren nun gibt sie einen Filmpack zur Entwicklung
in eine Handlung photographischer Bedarfsartikel in einer andern Stadt
und hier erlebt sie den geradezu erschütternden (für sie jedenfalls erschütternden
) Zufall: daß dieser Film doppelt belichtet ist und unter
den neuen Aufnahmen die des seinerzeit der russischen Studentin ausgehändigten
Filmes zeigt. Dieser Zufall ist so absonderlich, daß er
geradezu unglaubwürdig klingt. Zum mindesten in den Schlußfolgerungen
, die Scholz und sein Gewährsmann daran knüpft. Er ist so absurd
, zu seinem Zustandekommen wären so viel absonderliche Zwischenglieder
er 1 orderlich; daß meiner Meinung nach bei der Rechnung
irgend etwas nicht stimmen muß. Iiier setzt denn auch die Kritik ein.
Zweifellos ist ein großer Teil der angeführten Zufälle unantastbar
echt in Beobachtung und Bericht. Und dennoch ist äußerste Vorsicht
sowohl in Aufnahme als auch Auswertung geboten. Denn, wie auf
dem ganzen Gebiet des Okkultismus, an dessen Gebiet zum mindesten
das Beispiel mit dem Film schon grenzt, ist auch hier äußerste Vorsicht
deshalb geboten, weil die Irrtumsmöglichkeiten so außerordentlich
groß sind. Handelt es sich doch um rein subjektive Erlebnisse. Solche
sind nur psychisch faßbar und unterliegen damit den eigentümlichen
psychologischen Erkenntnisbedingungen. Wer sich nur einigermaßen
selbst beobachtet hat, weiß, wie groß die Irrtumsmöglichkeiten sind,
gerade bei psychisch produktiv veranlagten Menschen. Während z. B.
die photographische Platte einen einmal fixierten Eindruck fast konstant
behält, zum mindesten für lange Zeiträume, unterliegt der
psychische Einfluß schon sogleich bei seiner Entstehung Modifikationen
. Er tritt in Verbindung mit einer Unzahl voraufgegangener
Eindrücke, die er beeinflußt, die aber auch auf ihn angleichend rück-
wJrken. Daher erklärt sich die Verschiedenheit in der Auffassung
mehrerer Berichterstatter desselben objektiven Vorgangs, wie sie bei
jeder Gerichtsverhandlung wieder zutage tritt. Besonders stark ist die
psychische Umschmelzung bei stark subjektiven, also dichterischen
Naturen, zu denen meist die Frauen und Kinder zu rechnen sind. Ihre
Subjektivität besteht gerade darin, daß ihr Vorstellungsleben sich ungehemmt
betätigen kann; während der im praktischen Leben stehende
Mann genötigt ist, seine Vorstellungen dauernd an der äußeren Wirklichkeit
zu korrigieren. In ganz besonderm Maße gilt dies für beruflich
objektiv eingestellte Menschen, wie Gelehrte, Berichterstatter. Poch
lehrt die Erfahrung, daß auch sie, wo nicht subjektiven Täuschungen,
so doch manchmal tendenziösen Einflüssen unterliegen.
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