http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0643
Schröder: „Pseudo-Entlarvungen"
* 613
Auf der einen Seite eine derartige maßlose Vertrauens- und
Glaubensfreudigkeil, auf der anderen Seite eine in der Wahl der
Mittel ganz unbedenkliche Ablehnung. Kaum taucht irgendwo eine
„passende" Behauptung, wenn auch allerkühnsten Ausmaßes auf, wird
postwendend die Tagespresse in Sturm gesetzt, um die fama gegen
die mögliche Echtheit okkulter Phänomenik wieder einmal aufzupeitschen
.
Was geschieht aber, wenn einmal einer der „Gegner
" das Unglück hat, eine unbestreitbar echte Phänomenik
bei einer Abprüfung erhärten zu müssen?
Dafür verdanke ich Herrn Sanitätsrat Dr. C. Bruckeinenrecht
interessanten Fall. Er schreibt: „Die Psychologie von B e -
gutaclilern okkulter Phänomene bei Sitzungen, zu denen
sie eingeladen werden oder sich einladen lassen, wird recht gut durch
die Tatsache beleuchtet, daß es nicht allen von ihnen so dringlich
wie Herrn D e s s o i r erscheint, ihre Beobachtungen zu veröffentlichen
, nämlich gerade dann nicht, wenn — wohl gegen ihr Erwarten
— unangreifbare positive Resultate erzielt worden sind."
„Iiier ein Beispiel Bei einer der wissenschaftlichen Kontrollsitzungen
mit einem bekannten Berliner Hellsehmedium erbat sich
ein eingeladener, dem D e s s o i r sehen Kreise zuzurechnender Gelehrter
— er werde hier ebenfalls (mit Dessoir; Verf.) als D bezeichnet
— freiwillig zur stenographischen Aufnahme des Protokolls.
Die Sitzung umfaßte drei methodologisch gesicherte Experimente und
alle drei führten zu positiven Ergebnissen. Das Protokoll-Stenogramm
ging jedoch fatalerweise verloren; es konnte später weder in der
Wohnung des Veranstalters, noch in der des Protokollanten wieder
entdeckt werden. Und wohl niemals wird festzustellen sein, ob dieses
Verlieren ein bedauerlicher Zufall war, ob eine bewußte Absicht zugrunde
lag, ob es etwa als eine ,subliminale Fehlleistung* (cf. Freud,
„Zur Psychopathologie des Alltags") zu analysieren gewesen wäre.
Jedenfalls waren die Ergebnisse dieser Sitzung durch dieses kleine
Akzident für die wissenschaftliche Beweisführung ziemlich wertlos
geworden, — und der Skeptiker war der Verlegenheit enthoben, mit
seiner Unterschrift offiziell für ein parapsychisches Phänomen einzutreten
(vgl. Schiller: ,Dieser Mortimer starb euch sehr gelegen/). Es
kann dei Sachverhalt, auf den hier angespielt wird, jederzeit mit
allen Details und den INamen der Teilnehmer zur Verfügung gestellt
werden."
Die Dessoirsche „brennende Scham" muß jeden auf
das schmerzlichste bis zur Empörung durchzittern, der sich noch ein
Gefühl bewahrt hat für die Erfordernisse der freiefr
Forschung, für die Gebote der Wahrheit. Wenn die
„Gegner" der möglichen Echtheit sog. okkulter Phänomenik zu solchen
Miltein, wie ich sie habe feststellen müssen, zu greifen genötigt
sind, muß es um die Gerechtigkeit ihrer Sache, die bei dieser
Kampfesweise ganz gewiß nicht mehr eine solche einer wissenschaft-
40
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0643