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620 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 10. Heft. (Okt. 1924.)
schlössen wäre, denken müßte, wenn plötzlich einmal ein Eingriff in
seine Welt aus der dritten Dimension hineinragte. Aelinlich wie diesen
zweidimensionalen Wesen muß es uns dreidimensionalen Menschen
ergehen, wenn es eine vierte Dimension des Raumes gibt. 411es, was
uns erst in der Zeit zu entstehen scheint, ist dann in Wahrheit schon,
fertig da und tritt für uns nur erst in Erscheinung, wenn es in unsere
dreidimensionale Welt einmal hineintritt.
Zu diesem i8^6 veröffentlichten Aufsatz macht der Verfasser bei
einer Neuauflage im Jahre 187.5 folgenden Nachtrag: „Schon Kant
hat, was mir zur Zeit der Abfassung dieses Aufsatzes (i846) nicht
bekannt war, die Möglichkeit von mehr als drei Dimensionen des
Raumes gesprochen; nicht minder sind neuere namhafte Mathematiker
wie Riemann. Helmholtz, Klein auf Spekulationen darüber eingegangen
. Feiner erinnere ich mich gelesen zu haben, daß Kirchmann —
unstreitig ohne Kenntnis des vorigen Aufsatzes — die Veränderungen
in der Welt in ähnlicher Weise wie hier geschehen, nur mit mehr
philosophischem Ernste, durch einen festen Bestand zu ersetzen gesucht
hat. Endlich ist mir durch mündliche Unterhaltung mit Professor
Dr. Zöllner eine sehr sinnreiche Weise der Erklärung von Wundern
, die im Räume von bloß drei Dimensionen als solche erscheinen,
durch Hineinspielen von Kräften aus einer vierten Dimension zur
Kenntnis gekommen welche der Art ist, daß, wenn sich die Tatsache
dieser Wunder erweisen ließe, darin ein empirischer Beweis für das
Dasein einer vierten Dimension gefunden werden könnte; worüber er
sich wohl selbst einmal im Zusammenhang allgemeiner Betrachtungen,
in welche dieser Gedanke eingetreten ist, äußern dürfte."
Zöllner hatte sich in der Tat derartig in den von Fechner mehr
im Spiel behandelten Gedanken einer vierdimensionalen Welt verbissen,
daß er nichts sehnlicher wünschte als eine tatsächliche Bestätigung
seines Phantasiegebäudes. In diesem Zusammenhang trat er an die
Untersuchung über Henry Slade 1878 mit der vorgefaßten Meinung
heran, daß sich auf diese Weise die Existenz vierdimensionaler Wesen
experimentell werde beweisen lassen. Nur so ist es von ernsthaften
Menschen zu verstehen, daß Zöllner das Gelingen des Sladeschen Versuches
, wrobei die Geibter es fertig brachten, in eine Schnur ohne Ende
einen Knoten zu schürzen, mit Tränen freudiger Rührung begrüßen
konnte, während Fechner seinen Eindruck in die Worte zusammenfaßte
: „Wenn denn doch die Erscheinungen sich wirklich als echt
erweisen sollten, so würden sie bei dem albernen und läppischen
Charakter der Versuche doch eine gar zu unwürdige Vorstellung vom
Treiben der Geisterwelt erwecken, eine Vorstellung, die zu meinen
eigenen Ideen über das Fortleben nach dem Tode*) in schreiendem
Widerspruch stände." Eine Beschreibung seiner Untersuchungen mit
Slade hat Zöllner im 1.—3. Bande seiner „Wissenschaftlichen Abhandlungen
" (Leipzig 1878—79) geliefert.
*) Zu vergleichen: G. Th. Fechners Zend-Avesta, bearbeitet uud verkürzt
herausgegeben von Max Fischer-Colmar. Inselverlag zu Leipzig 1919.
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