http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0667
Kleine Mitteilungen
637
Lesefrucht.
In der Diombücherei des Inselverlags haben bekanntlich
die mystischen Schriften des Mittelalters eine zeitgemäße Auferstehung
gefeiert. Darunter befindet sich auch ein Band des vor 100 Jahren in
München amtierenden Prof. Franz von Baader, von Pulver
verarbeitet. Darin fand ich heute beim Blättern einen kleinen Aufsatz:
Ekstasis als Metastasis, auf den ich die Aufmerksamkeit
hinlenken möchte. Baader sagt darin, in einem für unsere heutigen
Begriffe siemlich unverdaulichen Deutsch allerdings, daß das Schöpferische
und Geschaffene in unser Weltbild oft mit einem falschen Rangverhältnis
eingesetzt würde, insofern nämlich, als das Materielle als
die Hauptsache angesehen werde, das das Immaterielle gleichsam in
sich beherberge und verberge, während es doch augenscheinlich umgekehrt
sei; nämlich, daß das materielle Sein nur insofern Urständ und
Bestand habe, als es fortwährend von einem immateriellen Prinzip erzeugt
werde. Nicht nur der physiologische Vorgang des Lebens ist
damit also als ideogen angesprochen, sondern die Tatsache des körperlichen
In-Erscheinung-Tretens überhaupt, und zwar nicht nur als einmal
gegebene Tatsache, sondern als ein fortlaufendes Geschehen in jeder
Sekunde des Bestehens. Für Baader ist eben jedes Geschehen ein dreifaches
. Der Impuls dafür liegt in dem anschaulichen Denkenden des
Geistigen, die Bewirkung in dem krafterfüllt Seelischen und das
Bewirkte in der Erscheinung. In allem ist dieses Dreifache in- und
miteinander zugleich gegeben; und doch kann das feinstofflichere
Substrat des Seelischen und des Geistigen sich irgendwie aus der stofflichen
Erscheinung herauslösen und so zu dem Zustand der Ekstase
führen. Geschieht dieses Herauslösen in extremem Ausmaß, so wird
die Ekstase zum Tod. Daher das Gefühl des Unheimlichen und
Grauenvollen, das alle diese Zustände begleitet; sie erinnern eben immer
an Tod, und sie tun das mit Recht, weil sie ihm außerordentlich nahe
verwandt sind.
Nun sieht aber Baader das Wesen des Herauslösens nicht in einer
Trennung der Seele und des Geistes vom Leibe, sondern er betrachtet
die Ekstase als einen VÖrgang der Metastasis, als ein
Umschmelzen, so wie ein Aggregatzustand in den anderen hLiweg-
schiüilzt und sich aus ihm wieder verdichten kann, und er meint, das
völlige Unsichtbarwerden und gänzliche Hinweggerücktweiden eines
lebendigen Körpers als ein Vorgang, der uns einfach absurd und unmöglich
dünkt, wäre auf diesem Wege nicht nur denkbar, sondern aucn
selbstverständlich, denn wenn das immaterielle Prinzip, welches das
materielle Dasein fortwährend erzeuge, so daß dieses nur auf Grund
eines solchen Prozesses überhaupt da ist, dann braucht dieses immaterielle
Geschehen nur irgendwie zeitweilig aufzuhören oder besser
eine andere Richtung zu gewinnen, so sei damit sofort auch die Möglichkeit
gegeben, daß das- materielle Produkt zeitweilig aufhöre, in
sinnlich wahrnehmbarer Gestalt vor uns vorhanden zu sein, um in
einem zeitlosen Augenblick an einem anderen Ort zu sichtbarer Existenz
sich wieder hergestellt zu finden. Baader vergleicht das mit der Auflösung
eines Salzkristalls in Wasser, der dann wieder auskristallisier!
werden kann; und er meint, so gut wie die Luft das schwerere Wasser
in sich aufzunehmen vermöge, um es seines eigenen luftigen Zustandes
teilhaftig werden zu lassen und um es dann an einem anderen Ort
wieder als Wasser abzusetzen, so könne auch eine noch feinere Luft,
das Substrat des Geistigen, den materiellen Körper für einen Augenblick
in sich aufsaugen und an andere Stelle hinstellen; dann wäre
er unsichtbar geworden und hinweggerückt, und wer wollte im Besitz
eines solchen Weltbildes solche Vorgänge dann noch als absurd erklären
? Und in diesem Sinne müsse man eher sagen, es sei viel
richtiger, zu denken, daß das immaterielle Prinzip das materielle in
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0667