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654 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 11. Heft. (November 1924.)
Es ist daher für die parapsychologisch arbeitenden Forscher als Verteidiger
ihrer fest gegründeten Ueberzeugung vielleicht nicht ohne
Wert, eine Unterstützung durch die Mitteilung von Beobachtungen
an Kranken zu erhalten, die einwandfrei teleplasmatische Bildungen
erkennen ließen.
Ich verdanke die Beobachtungen dem angesehenen und geachteten
Leiter eines bekannten heilpädagogischen Instituts im Rheinlande
, der mir sie im Laufe einer Diskussion über parapsychologische
Probleme mitteilte und auf Bitten in freundlicher Weise schriftlich
zur Verfügung stellte. Herr E. schreibt über seine Erfahrungen:
„Meine letzte und lebendigste Erinnerung betrifft eine Dame, die vor
einem halben Jahr in meiner Behandlung gewesen war. Sie war in
mittleren Jahren und bot innerlich und äußerlich ein Bild größten
Jammers dar. Sie selbst erwartete in den nächsten Stunden ihr Ende.
Zu sprechen vermochte sie kaum, meist stöhnte sie so arg, daß ich
ihre Schmerzen mehr erraten als erfragen konnte. Am meisten klagte
sie über Magen, Darm, Hals und Zunge. Aljs ich mir die Zunge
zeigen ließ, bot sich mir ein seltsamer Anblick. Sie selbst war belegt,
aber über ihr erhob sich sozusagen eine zweite Zunge, nicht ganz so
lang und breit wie die richtige Zunge, dieser aber doch ähnlich. Die
Farbe spielte zwischen Weiß und Grau. Die Dicke war etwa 1/3 cm,
an den Rändern weniger. Das Gebilde hob und senkte sich 1/2—1 cm
über der Zunge - je nach dem Ein- und Ansätzen der Kranken.
Das befremdendste für mich war, daß die Kranke von diesem Gebilde
nichts zu wissen schien. Ich rief einige Kranke herbei, denen ich die
seltsame Erscheinung zeigte; niemand von ihnen hatte jemals etwas
Aehnliches gesehen. Ich dachte daran, eine photographische Aufnahme
zu machen, unterließ es dann aber, um die Kranke nicht noch mehr
zu beunruhigen, als sie es ohnehin war. Ich suchte meinen ganzen
Einfluß darauf zu lenken, sie zu beruhigen; in gleichem Maße, wie
mir dies gelang, nahm auch das Gebilde an Umfang und Dicke ab,
blieb aber am Nachmittag noch deutlich sichtbar. Die Patientin befand
sich nicht in Hypnose. Am nächsten Vormittag war das Gebilde
kaum noch zu sehen und am darauffolgenden Nachmittag ganz verschwunden
. Parallel mit diesem Verschwinden war eine deutliche
Besserung des Allgemeinbefindens einhergegangen, sc daß der Gedanke
sich geradezu aufdrängt, daß die äußerlich sichtbare Erscheinung mit
der inneren Spaltung der Persönlichkeit zusammenhängen muß.
Auch bei den anderen Erlebnissen, die z. T. Jahrzehnte zurückliegen
, handelte es sich um Erscheinungen ähnlicher Art. Immer betraf
es weibliche Personen in mittlerem Alter; einmal handelte es
sich um eine Dame, die spiritistische Sitzungen betrieb, ein anderes
Mal um eine sich als Medium fühlende Frau. In beiden Fällen lag
das wie ein Gazeschleier geformte Gebilde über der Zunge und war ihr
ähnlich, aber dünner, weiß und weniger körperhaft. Damals — es ist
etwa ein Menschenalter her, als mir diese Phänomene zum ersten
Male begegneten — glaubte ich an irgendeine Axt von Betrug oder
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