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698 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 11. Heft. (November 1924.)
bei diesen Versuchsbedingungen die Möglichkeit, diese Phänomene betrügerisch
hervorzubringen? Er habe alle Möglichkeiten überlegt und
Taschenspieler, Chemiker und Physiker gefragt, aber nichts gefunden,
abgesehen von den moralischen Argumenten könne nichts Stichhaltiges
gegen die Echtheit angeführt werden. Man scheine also die Echtheit
dieser Phänomene ernsthaft in Rechnung ziehen zu müssen. Man
müsse dann Erto einerseits für ein bewundernswertes Medium halten
und außerdem für einen Betrüger. Das sei wissenschaftlich durchaus
nicht absurd. Es sei eine gute Lektion für die Forscher und ein guter
Gegenstand des Nachdenkens für die gutgläubigen Gegner.
Geley scheint danach dieses Zusammenvorkommen von echten
Phänomenen und betrügerischen für selten zu halten, aber es scheint
mir doch zweifelhaft, ob er damit recht hat. Der automatische Betrug
des in mehr oder weniger in tiefem Trance befindlichen Mediums ist
doch wohl nicht so selten, aber auch der klar bewußte Betrug kommt
wohl bei echten Medien auch sonst vor. Eine allerdings wohl seltene
Eigenheit des Falles Erto würde — die Echtheit der hier geschilderten
Phänomene vorausgesetzt — darin beruhen, daß er zwei ganz verschiedene
Arten von Phänomenen zeigt, i nicht direkt in Zusammenhang
stehen, von denen die einen betrügerisch hervorgebracht werden,
die andern aber echt wären, während sonst meist dieselben Phänomene
zeitweise echt sind, zeitweise, wenn es bequemer ist oder das Medium
die Fähigkeiten verloren hat, betrügerisch hervorgebracht werden. Es
ist wohl zu hoffen, daß man über diesen Punkt bei Erto nicht allzu
schwer zur Klarheit kommt, indem man die Versuche noch nach
einigen Richtungen hin abändert. Wenn methodisches Experimentieren
überhaupt zu einem entscheidenden Ergebnis führen kann, dann
sollte es hier der Fall sein.
Kleine Mitteilungen.
In Sachen Dessoir.
Ein zeitgemäßer Appell.
Ist wirklich die Psychologie Dessoirs wichtig genug, um sie zum
Gegenstand „Psychischer Studien" zu machen. Dessoir ist ein geistreicher
Schriftsteller und gilt in den Kreisen seiner Fachgenossen nicht
für mehr. Das soll kein Vorwurf sein. Ein geistreicher Schriftsteller
ist mir lieber als ein geistloser Gelehrter. Aber hat es wirklich Zweck,
gegen Theaterdekorationen Sturm zu laufen? Gewiß, natürlich, man
kann einen Trümmerhaufen aus ihnen machen, wenn man darauf Wert
legt Dessoirs einzige Stärke liegt darin, daß er verneint. Als Jasager
wäre er eine recht unbedeutende Größe, und niemand würde von ihm
Notiz nehmen. Als Neinsager erfüllt er immerhin eine für die Entwicklung
der parapsychischen Forschung recht wichtige Aufgabe,
indem er mit dazu beiträgt, daß immer * stärkeres Beweismaterial
herbeigebracht und dadurch das wissenschaftliche Fundament mehr
und mehr befestigt wird.
In einer Beziehung hat Dessoir sogar recht. Nicht er ist beweis-
pfiichtig, daß ein Betrug wirklich vorliegt; vielmehr hat derjenige,
der etwas den bisher bekannten Tatsachen Widersprechendes behauptet,
den Nachweis zu erbringen, daß Betrugsmöglichkeiten ausgeschlossen
sind. Das Beweismaterial ist lückenhaft, wenn der Gegner eine
Betrugs mögl ich keit nachweist, nicht den tatsächlichen Betrug
. Dazu ist er nach wissenschaftlichen Spielregeln nicht verpflichtet.
Auch anderen Gelehrten macht man zu unrecht einen Vorwurf
daraus, daß sie nicht widerstandslos für neue Ideen zu begeistern sind,
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