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Kröner: Einiges zur Psychologie medialer Kunstleistungen. J07
lieh alles und nichts denken läßt, genauer definieren und zwar anders
definieren, als bisher geschehen.
Seit der Entdeckung der Psychoanalyse hat man sich daran gewöhnt
, das Unterbewußtsein als eine Art seelischer Rumpelkammer
zu betrachten, in der sich hauptsächlich krankhafte Produkte und
Schlackenstoffe des psychischen Stoffwechsels aufhalten, um 3ort ein
gespenstisches Scheinleben zu führen, ähnlich wie es die krankmachenden
Bakterien und Selbstgifte im physischen Körper tun. Diese Definition
ist ebenso eng wie schief und betrifft nur gewisse Teile de»
Unterbewußten bei Neurotikern. In Wahrheit verhält sich das normale
Unterbewußtsein zu der psychoanalytischen Krankenstube wie ein
Schloß zu einem Hängeboden. Das seelische Prinzip iedes Menschen
besteht zum mindesten 95 Prozent aus Unterbewußtem
Das Verhältnis der beiden Bewußtseinskategorien zueinander und
ihre Beziehungen zum Irh verdeutlicht man sich am besten an einer
Reihe bildhafter Vergleiche, will man sich nicht in die blutleeren
Definitionen der abstrakten Psychologie verlieren. Man stelle sich ein
ungeheures Gewölbe vor, das eine riesige Kartothek enthält, in der alle
Dinge und Vorgänge, die jemals die Schwelle der Sinnesorgane passiert
haben, wohlkatalogisiert aufbewahrt sind. Nichts davon kann
jemals verlorengehen. Aber nicht nur alle durchs Tor der Sinne gelangten
Eindrücke enthält das Gebäude des Seelischen, sondern auch
alle angeborenen und ererbten Instinkte und Regungen; alles was unter
den Begriff der Veranlagung fällt, sind in ihm enthalten. Und steigen
wir noch tiefer in das Gewölbe hinab, so geraten wir auf noch ursprunglichere
Schichten, für die ich den Namen „vegetatives Bewußtsein4
in Vorschlag gebracht habe. Dieses ist das bildnerische und
lebenerhaltende Seelenorgan imseres stofflichen Organismus, das Prinzip
, das aus der Keimzelle den einen bestimmten Organismus wachsen
läßt, das mittels des vegetativen Nervensystems (Sympathicus und
Parasympathicus) den Organismus in seiner niedrigen Lebens- und
Stoffwechselfunktion unterhält, um sich gleichsam unsterblich in der
Vereinigung zweier Keimzellen immer von neuem zur Idee eines Individuums
zu formen.
Endlich ragen noch Dinge in den Seelenkomplex hinein, die die
Grenze des Individuellen sprengen, höhere Bewußtseinskategorien, wie
Stammes- und Artbewußtsein und das sogenannte überindividuelle
Seelische, das kosmische Bewußtsein der Pantheisten.
In diesem fast grenzenlosen Gewölbe befindet sich in der Nähe
des Einganges ein Reflektor, der sich nach verschiedenen Seiten drehen
läßt und imstande ist, die nächstliegenden Gegenstände zu erhellen.
Dieser Reflektor ist das Ich. Das Ich ist kein Ding an sich und ist
weder mit der Seele, noch dem Begriff des Individuums identisch, sondern
lediglich ein Zustand, und zwar ein Wahrnehmungszustand von
gewissen seelischen Vorgängen, die aber nur einen verschwindenden
Bruchteil aller seelischen Funktionen überhaupt ausmachen. Diejenigen.
Dinge, die in den Lichtkegel dieses Reflektors gebracht werden können,
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