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Beilage zu „Psych. Studien".
(51. Jahrgang,)
Himmel- und Höllenfahrten im klassischen Altertum.
Von H. H ä n i g - Rochlitz.
Der berühmte Philologe H. Diels, der nach einem arbeitsreichen
Leben am 4. Juni v. J. verstorben, ist, hat in einem der letzten von
ihm in Skandinavien gehaltenen Vorträge auch die oft erörterte Frage
der Himmel- und Höllenfahrt behandelt — die Abhandlung ist im
25. Jahrgang (49/3o. B., 6./7. Heft) der Neuen Jahrbücher für das
klassische Altertum erschienen und enthält soviel Reizvolles, daß sie
auch für den Außenstehenden lesenswert ist. Das Thema ist bekanntlich
nicht nur von klassischen Philologen und Theologen (Höllenfahrt
Christi, Petrusapokalypse), sondern auch von Literarhistorikern (Dantes
göttliche Komödie), ja sogar Theosophen (lt. Steiners Christentum
als mystische Talsache) und Okkultisten anderer Richtungen behandelt
worden. Von den Mysterien des alten Griechenlands geht hier eine
ununterbrochene Tradition bis zu dem erwähnten mittelalterlichen
Werk des großen italienischen Dichters: nicht nur, daß die großen,
griechischen Helden sie unternehmen (Odysseus, Perseus, Theseus, Hercules
, Orpheus, Jason), sondern diese Anschauung wirkte auch auf
Plato (Staat io. Buch), Cicero (Traum Scipios in De republica) und
Vergil (Aeneis 6. Buch), die beide von Poseidonios beeinflußt waren.
Dazu kommen die apokalyptischen -Bücher des Juden- und Christentums
hinzu, wie das Buch Henoch, das aus orientalischen und griechischen
Jenseitsvorstellungen zusammengesetzt ist, sowie die berühmte
Peli usapokalypse, die sich 1886 in einem oberägyptischen Grabe fand
und die Schicksale der Seele nach dem Tode durch Zeugen aus der
jenseitigen Welt vor Augen führt. Ein Jahrtausend später wird dieses
Thema, um nur die hervorragendsten Schriften anzuführen, vom
Papste Gregor d. Gr. behandelt (Dialoge IV, 35), der einen Scheintoten
wieder zum Leben zurückkehren läßt, so daß dieser nun (der
spanische Mönch Petrus) die- Schicksale des Menschen nach dem Tode
und die Zustände in Himmel und Hölle schildert — so anschaulich,
daß man glauben möchte, hier wirklich ein Erlebnis (Katalepsie mit
Halluzinationen infolge religiöser Beeinflussung wie bei den Somnambulen
) vor sich zu haben, das vielleicht von dem Autor noch weiter
ausgeführt worden *sl. Werden doch aus dem Mittelalter noch andere
derartige Visionen berichtet: So von Beda Venerabiiis über den schottischen
Visionär Drycthelun (Hist. eccl. VI, 2), Bonifatius Brief an
Eadburga (Mon. Germ. ep. III Merov. 1), Walafried Strabo (carmen
de visionibus Wettini, Migne P. L. n4, p. 1070), der u. a. auch Karl
d. Gr. wegen seiner fleischlichen Gelüste Martern erdulden sieht. So
hatte Dante, als er seine göttliche Komödie schrieb, ein großes Material
vor sich, nur daß er weit über alles hinausgeht, was in dieser Hinsicht
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