http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0753
- XXIII —
könnte also vielleicht annehmen, daß wenigstens ursprünglich jene
Anschauung von der Unterweltsfahrt vorhanden war, die dann mit
anderen, etwa Lokalsagen zusammengebracht worden sei. Mit Odys-
seus als dem Repräsentanten des griechischen Volkes ist, um nur ein
Beispie! zu erwähnen, als Mittelpunkt seiner Irrfahrten zunächst gar-
nichts anzufangen — selbst wenn der erwähnte Deutungsversuch (von
odvQOf(ai) um eine nachträgliche richtig ist, kann es sich nur Verbindung
eines früheren Mythos mit jenem IdeaJtypus gehandelt haben.
Ist vollends die Necyia in der Odyssee nicht als spätere Einlagje zu
betrachten, sondern als der Kern dieses ganzen Werkes, wie jetzt
manche meinen, so geht daraus erst recht hervor, daß ursprünglich
eine ganz andere Vorstellung zugrunde gelegen hat: die des Totengottes
, der Seelenfahrt oder ähnliches.
Wie dem auch sei — das Moment des Unterirdischen ist, wie es
scheint, in diesen Sagen durchaus ursprünglich und nötigt uns erneut,
in dieser Richtung den Grundgehalt dieser Sagen zu suchen, mögen
diese nun später mit lokalen Traditionen verbunden worden sein oder
mögen sich die Urheber dieser Mythen an solche Lokalkulte u. dgl.
gehalten haben. Damit gewinnt aber die Interpretation Steiners bedeutend
an Wahrscheinlichkeit, und sie ist wert, bei dem Umschwung,
der sieh jetzt in dieser Hinsicht auch in der Altertumswissenschaft
vollzieht, wenigstens als Arbeitshypothese verwendet zu werden. Sie
kann sich zum mindesten auf die Tatsache berufen, daß in allen
diesen Sagen immer wieder bestimmte Vorstellungen wiederkehren
(Meerfahrt, Hilfe einer Zauberin, Hinabsteigen in die Unterwelt), ja
daß manchen sogar ein ganz bestimmtes Schema zugrunde liegt, wie
bereits erwähnt worden ist. Bei Namen wie Prometheus, Epimetheus
ist diese Tendenz besonders durchsichtig. Man betrachte von diesem
Standpunkte nochmals die Irrfahrten des Odysseus: die festgefügte
Uehcrlieferung der Abenteuer, wie sie uns schon in der Odyssee entgegentreten
, wird zum mindesten verständlicher, wenn man darin eben
Teile jener Seelenfahrt sieht oder der seelischen Entwicklung, die
nach vielen Prüfungen schließlich zu dem ersehnten Ziele führt1).
*) p 15. Die Ableitung des Namens 'Qhüaazvz von 6S6xap.at würde sich
dann dadurch erklären, daß den Seelen der Abgeschiedenen göttliche Ehren
entgegengebracht wurden, sodaß sie als Götter erschienen, vielleicht liegt
auch hier eine Erinnerung an die atropische Absicht solcher Kulte zugrunde
(Abhaltung von Unheil, wie das von zurückkehrenden Toten gefürchtet
wurde, vgl. den ägyptischen Leichenkalt) Das Meer, das die
griechischen Helden befahren, ist in diesem Sinne als der Ozean der
Zeugung oder das Meer der Materie aufzufassen, von der schon die gnosti-
sehen Schriften zu erzählen wissen. So badet nach dem gnostischem Buche
Baruch (B. S Head; Fragmente eines verschollenen Glaubens, Yerlag
C. A. Schwetschke, Berlin 1902, Mead Uebers. p. 163) Jesus in den Wassern,
die Leben verleihen und nicht in den Wassern unterhalb des Firmaments,
dem Ocean der Zeugung (vgl. das brahmanische und buddhistische samsara,
Ocean der Wiedergeburt), in welchem die physischen und psychischen
Körper gebadet werden, und in dem gnostischen Hymnus vom Kleide der
Herrlichkeit (Mead p. 330 If.) heißt es, daß der Perlen einzig schöne (d. h.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0753