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768 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 12. Heft. (Dez. 1924.)
Herrn R. und Fräulein P. Nun ging kürzlich der Redaktion nachstehend
abgedruckter Brief zu:
Lieber Herr Dr. Suenner! Gestern von einer zweimonatlichen
Reise zurückgekehrt, fand ich das Augustheft Ihrer Psychischen
Studien vor, mit dem Kapitel über moderne Erinnyen. Dr. Hellwig
spricht darin von den Versuchen, die in Gegenwart des Berliner Nervenarztes
Dr. v. Rutkowski stattgefunden hätten und wagt die Behauptung
, sie seien negativ verlaufen. Das ist eine so unerhörte Entstellung
des Sachverhaltes, daß ich nachdrücklichst dagegen protestieren
muß. Warum verschweigt Dr. H., daß ich selbst bei den
Versuchen zugegen war und sie als absolut gelungen bezeichnet habe?
Warum verschweigt er ferner, daß er in meiner Gegenwart, vor allem
in dem später noch in der Untergrundbahn mit Herrn Rektor Seeling
geführten Gespräche keinen einzigen Einwand geltend zu machen
wußte und durchaus nicht von einem negativen Verlauf zu sprechen
wagte? Sie werden begreifen, daß ich Herrn Hellwigs in Ihren
Studien veröffentliche Bemerkungen als außerordentlich bedauernswerte
Entstellung des Sachverhaltes bezeichnen muß. Ich sehe mich
auch veranlaßt, Sie zum Schutze des meiner Meinung nach ganz zu
Unrecht in dieser Angelegenheit angegriffenen Herrn Rektor Seeling
zu bitten, eine entsprechende Erklärung in Ihren Studien abzudrucken.
Vielleicht geschieht es am einfachsten durch die Wiedergabe dieser
Briefstelle. Wenn die okkulten Phänomene mit derartig starren
Systemen zu kämpfen haben, wie es auch nach Ihrer eigenen Bemerkung
Herr Dr. H. in sich trägt, dann haben sie es allerdings schwer
zur Anerkennung zu gelangen. Aber auch hier ist die kritische Unbefangenheit
glücklicherweise nicht gleichbedeutend mit unbelehrbarer
Starrheit. MJt besten QrüBen für heute Ifir M Verweyen.
Professor an der Universität Bonn.
Auch Herr Dr. v. Rutkowski steht in einem Brief vom 8. ds. Monats
ebenfalls auf dem Standpunkt, daß nicht alle Versuche mit
Herrn R. negativ verlaufen sind. Nur bezeichnet er zwei positive
Resultate als nicht verwertbar, „weil die Versuchsbedingungen
nicht streng genug wären". Nach glaubwürdigem Bericht
war aber an fast allen diesen Versuchen neben dem Versuchsleiter
— welch heitere Pointe! — Herr Landgerichtsdirektor Dr. Albert
Hellwig als Helfer und Berater beim Methodenaufbau
hervorragend mit beteiligt. Und nicht nur das, sondern
er hat durch sein ganzes Verhalten vor und während der Versuche
, u a. durch erregte und die Versuchsperson deprimierende Debattenbemerkungen
über den sog. „Dessauer Fall" als notorisch ungenügender
Seelenführer bei wissenschaftlich-okkultistischen Experimentalsitzungen
debütiert. (Weitere Einzelheiten über Herrn Helfwigs Gutachtertätigkeit
bei dieser Sitzung stehen auf Grund des vorerwähnten
Berichtes zur Verfügung. Er hat z B. keine Ahnung, daß es neben
positiven und negativen Resultaten auch zwischen beiden stehende
Ergebnisse mit deutlicher telepathischer Dominante gibt!)
Ueber das Ergebnis der Versuche mit Frl. P., dem Dessauer
Medium, macht Herr Dr. v. Rutkowski in seinem Briefe leider keine
Angaben. Er ist aber abschließend der Meinung: „immerhin hätten
die Versuche fortgesetzt werden müssen".
Es liegt hier also ein Fall vor, in dem Herr Hellwig nicht von
einem Einzelnen, sondern von zugleich drei Personen, einem Universitätsprofessor
, einem Arzt und einer Versuchsperson der irreführenden
Berichterstattung, wenn man nicht sogar sagen will, in mehr oder
weniger großem Ausmaße der Unwahrhaftigkeit geziehen wird.
In der Frage der Psychologie der Zeugenaussage können also, wie
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