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Stinner: In Sachen Hellwig
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es scheint, die Herren Juristen und Kriminalisten nicht nur Subjekt,
sondern auch Objekt der Forschung sein, wie der Fall Hellwig er-i
schreckend beweist.
Aber sehen wir weiter. Herr Hellwig, der soviel schreibt (alles
selbstverständlich im Namen der Wissenschaft!), beehrt auch ein
neues Berliner Tendenzblatt mit einem Beitrag, nämlich die „Tagesschau
", die sich hauptsächlich für die Interessen und Bestrebungen
der Naturheilkundigen einsetzt. In einem Aufsatz: „Telepathie und
Hellsehen im Dienste der Kriminalistik" kommt er in Nr. 147 vom
21. Oktober abermals auf den Dessauer Fall zurück, und schreibt zum
Schluß: „Auch Dr. Sünner, der Herausgeber der ,Psychischen Staden
', erklärt im Augustheft, daß er in der zwischen Seeling und mir
entstandenen Kontroverse nunmehr auf meine Seite trete, nachdem er
sich überzeugt habe, daß die Darstellung Seelings nicht zuverlässig
sei." Ich habe daraufhin noch einmal genau meine Ausführungen im
Augustheft durchgesehen, ich konnte aber einen derartigen Satz nicht
darin finden! Es ist hier belanglos, daß die Möglichkeit besteht,
daß Herr Hellwig sich hier auf irgendeine Wendung in einem meiner Briefe
aus der sehr lebhaften Korrespondenz vom Sommer bezieht, ich nagle
das Quellenzitat hier nur fest, weil es auch in ihm an peinlich genauer
Exaktheit mangelt.
Die Sucht, von sich reden zu machen, scheint übrigens Herrn
Hellwig auch veranlaßt zu haben, wie aus einem Bericht der „Tagesschau
" vom 4. November, Nr. 159 hervorgeht, in einer öffentlichen
Versammlung im Anschluß an einen Potsdamer Aerztetag als Redner
aufzutreten, wobei es sich darum handelte, gegen die sog. Naturheilmethoden
Stellung zu nehmen. Seine dortigen Ausführungen werden
in dem genannten Blatte mit aller Schärfe zurückgewiesen. Es
wird ihm vorgeworfen, daß er die im Rechtsbewußtsein des Volkes
unbedingt erforderliche Ueberzeugtheit von der absoluten Neutralität
des Richterstandes durchlöchere, wenn er als aktiver Richter dergestalt
aus dem Rahmen seine§ Amtes heraustrete, und es wird weiter
„als Tatsache hervorgehoben, "daß ein Landgerichtsdirektor sich dazu
hergibt, in öffentlicher Volksversammlung als Stimmungsmacher aufzutreten
, seine eigenen Urteile breitzutreten, und damit zugibt, daß er
einseitig beeinflußt ist". Und schließlich wird die Frage erhoben:
„Ist der Herr Landgerichtspräsident einverstanden mit dem Auftreten
und den Ausführungen seines Landrichters?"
Diese Fachzeitschrift ist nicht der Ort, meritorisch auf die Berechtigung
der Vorwürfe des Blattes der Naturheiler gegen einen
Richter einzugehen. Aber es muß schon recht ungemütlich sein, wenn
Herr Hellwig sich solcherlei von einem Blatte sagen lassen muß,
in dem er noch zwei Wochen vorher selbst als Autor auftrat. Es ist
manchmal etwas peinlich mit der Vielschreiberei!
Aber die Wissenschaft und ihre wahren Vertreter
sollte man aufrufen, nicht von einem Manne ohne jede Qualifikation
für dieses Fachgebiet Belehrungen auf dem Gebiete der Parapsycho-
logie, des naturwissenschaftlich gerichteten Okkultismus entgegen zu
nehmen. Wie Herr Hellwig sich sogar anmaßt, der gesamten deutschen
Presse durch ihr Fachorgan — wenn auch in etwas versteckter
Weise — sich als Sachverständigen anzupreisen, den man hören
solle, ehe man einen Artikel von einem Okkultisten (!) aufnehme, das
hat ja schon soeben (siehe den Aufsatz im vorliegenden Heft) Prot.
Schröder in seiner verdienstvollen Abrechnung mit überzeugender
Eindringlichkeit ausgeführt.
Ist es nicht heiter, in den „Leipziger Neuesten Nachrichten"
vom 29. Okt. unter; „Presse und Okkultismus" von Herrn Hellwig
unter schlecht zurückgehaltener Entrüstung zu lesen, daß „die Okkultisten
in den letzten Jahren außerordentlich rührig gewesen sind, und
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