http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0820
„Wer außerhalb der Mathematik das Wort: unmöglich gebraucht, ist
zurmndesl unvorsichtig zu nennen". Als ob wir das ganze Wissen
schon gepachtet hätten und nicht demütig mit sokratischer und faustischer
Bescheidenheit bekennen müßten, daß es uns schier will das
Herz verbrennen, weil wir so gar nichts wissen können. Sind wir
nicht, um mit Goethe zu sprechen, von lauter Wundern und Geheimnissen
umgeben und wie winzig ist doch der uns bekannte Ausschnitt
aus dieser Wunderwelt! — Von dieser Seite her erfährt die Forschung
nur Hemmungen. Eine solche im Aufkläricht und in der KrafIstoffelei
befangene Wissenschaft dient nicht dem Fortschritte der Menschheit,
sondern weit eher der Rückwärtserei! /
F. : Ich sehe, Sie kommen von der Bitterkeit nicht los und das
macht Sie ungerecht und verführt Sie zu Uebertreibungen. Unterscheiden
wir einmal etwas genauer, um herauszufinden, was sich allenfalls
als berechtigter Kern aus dem Wust Ihrer im allgemeinen mehr
temperamentvollen als überzeugenden Vorwürfe herausschälen ließe. —
Zunächst einmal die Frage. Sind denn die Philosophen Fichte (Vater und
Sohn), Schopenhauer, E. Hartmann, die Naturforscher Zöllner, Perty,
Crookes, c'ie modernen Gelehrten Driesch, Ludwig, Richet. — Sie sehen,
ich zitiere nur ganz flüchtig imd verschone Sie mit der endlosen Aufzählung
aller klangvollen Namen, die sich f ü r den Okkultismus ausgesprochen
haben — sind diese verdienstvollen Männer nicht auch
Vertreter der Wissenschaft? Sie müssen also Ihre Vorwürfe \on vornherein
einschränken; sie treffen nicht die Wissenschaft, sondern
höchstens die Schulwissenschaft und selbst da nur die jeweilig
herrschende Richtung. Die Wissenschaft als solche aber, die
auf der Uebereinstimmung aller Zeiten beruht, muß uns als Sinn-
t findung der Welt hoch und teuer sein. In ihr erkennen wir dein
Werdegang der Vernünftigung in allem Weltgeschehen. Wir sollten
sie wie eine Religion verehren und wer ihr Ansehen untergräbt, versündigt
sich an der Menschheit und entmutigt alles Wahrheitsstreben.
G. : Schlimm genug, wenn es die Schulwissenschaft nicht anders
will. Die heute aufgedeckten Blößen, die sich die gelehrten Kommissionen
bei ihren Verdammungsurteilen über den Mesmerismus, Hyp-
notismus und die Stigmatisation gegeben haben, haben den Zunftgelehrten
nun einmal schwer geschadet. Daran ist nicht zu zweifeln«
untf. ich finde es ganz in der Ordnung, wenn Zöllner1), Du Prel2)
und Hof rat Seiling3), die ganze Schale ihres ätzenden Spottes über die
bezopften Häupter ausgießen.
F.: Ich bestreite Ihnen zunächst, daß der Okkultismus aus diesem
Kampfe mit der Rathedergelehrsamkeit auf der ganzen Linie als
Sieger hervorgegangen ist. Wenn auch zugegeben werden mußte, daß
es sich hier nicht um Täuschung handelt, so hängt doch die Erklärung
mit dem rätselhaften Fluid des Magnetiseurs noch immer in der Luft.
Was sich als „wissenschaftlich gesichert" durchgesetzt hat — in diesem
*) Zöllner: Das deutsche Volk und seine Professoren.
*7 Du Prel: Ein Erbfehler der Wissenschaft.
*) Seiling: Das Professorentum, der Stolz der Nation.
4) Kemmerich: Dinge, die man nicht sagt.
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