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existenz der Seele lehren. Piaton will im Lernen nur ein Wiedererkennen
sehen. Es macht ja auch zweifellos stutzig, wenn ich einem.
Kind eine Buche zeige und sie „Baum" nenne, daß es dann in der ganz
anders beschaffenen Palme oder Fichte sofort wieder einen Baum erkennt
. Sollte wirklich der Begriff des Baumes angeboren sein, und die
Vorstellung erst durch die Erfahrung des Lebens hinzutreten? Wie
erklärt es sich, daß sich bereits Säuglinge vor ganz bestimmten Dingen,
etwa großen Hüten, oder wie mein kleiner Neffe, vor winzigen Püpp-
chen fürchten, ohne daß ihnen doch jemals das allergeringste Böse
von ihnen zugefügt worden sein kann? Wir könnten die Beispiele beliebig
vermehren, etwa auf die bisweilen erstaunlich leichte Erlernbarkeit
ganz bestimmter Sprachen hinweisen, oder auf die Vorliebe für
ein ganz bestimmtes Land, für einen ganz bestimmten Kunststil oder
eine Kleidermode der Vorzeit, ohne damit die Zahl der unbeantworteten
fragen zu erschöpfen. Wie erklärt sich gar das „Wunderkind"?!
Gleichsam im Vorbeigehen sei erwähnt, daß auch neuere Denker
sich, wenn auch nur auf einem Umwege, mit dem Problem beschäftigen.
Hatte Locke die Seele bei der Geburt mit einer tabula rasa verglichen
, der erst durch Erziehung und Lebenserfahrung bestimmte
Eigenschaften verliehen würden, so vertrat Kant dieser ganz zweifellos
falschen Anschauung gegenüber die Meinung, sie sei durch einen
Sündenfall vor der Geburt so geworden, wie sie jetzt sei. Es ist kennzeichnend
für die moderne Philosophie, daß sie sich nicht nur mit
dem Thema selbst befaßt, sondern auch die Ansichten eines solchen
Denkers wie Kant, der doch ganz offensichtlich ein Vorleben annimmt,
stillschweigend übergeht. IN ur «wenn es sich um die Darlegung von
Buddhas Lehre handelt, wird die Wiedergeburt — die ganz und gar
nicht mit der Seelenwanderung verwechselt werden darf — erwähnt,
dann aber mit dem Hinzufügen, daß es sich um eine unbeweisbare,
in das Gebiet des reinen Glaubens gehörige These handle, die zwar
historisches Interesse, aber gewiß keine sachliche Prüfung verdiene.
Angesichts der ablehnenden Stellung der Schulphilosophie dieser
überaus bedeutsamen Frage gegenüber kann es nicht wundernehmen,
daß auch hier wieder die „Dilettanten" die Initiative ergriffen. So
zahlreiche Anhänger der Buddhismus in den letzten Jahrzehnten bei
uns gerade in den Kreisen der intellektuell und sozial führenden
Schichten gewonnen hat, so genügt es doch keineswegs den okkulten
Forschern, irgend etwas und mag es auch noch so geistreich sein, lediglich
zu glauben, sondern man war bemüht, das Thema wissenschaftlich
einer Lösung zuzuführen. Ueber das Resultat möge sich der Leser
selbst ein Urteil bilden.
Schon vor zwei Jahrzehnten hatte der Wiener Universitätsprofessor
Freud die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf den Traum und seine
Deutung gelenkt. Wenn dem Traume auch selbstverständlich vom
Volke und der okkulten Laienforschung seit Jahrtausenden Beachtung
geschenkt worden war, so war er doch, wie so sehr vieles andere Wertvolle
, von der Fachwelt ignoriert worden. Es ist in der Geschichte der
Wissenschaften im letzten Jahrhundert ja die Regel, daß mühsam
wieder ausgegraben werden muß, was von alter Volksweisheit eine irre-
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