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6 Psychische Studien. LH. Jahrgang. 1. Heft. (Januar 1925.)
sich nicht teilen! Nun wird man sagen: sie war noch gar nicht in
der Ursprungszelle des ganzen Systems. Aber woher kommt sie dann?
Also läßt sich die Genese der komplexen Systeme nicht mechanisch
verstehen.
Man sieht, wie hier die a mechanische, autonome Auffassung der
Biologie in die Lehre von der Vererbung eingreift, denn ein komplexes
System wenigstens, das Ovarium, ist Grundlage der Vererbung.
Aller Mendelismus, alle Lehre von ,,Genen" als sogenannten „Trägern"
der Vererbung, betrifft in der Tat nur gewisse Materialien oder Vermittler
des Vererbens, aber nicht die Hauptsache. Ordnende Faktoren
müssen am Werke sein; und diese sind nicht materielle Faktoren
.
Die Differenzierung harmonisch- äquipotentieller
System e.
Gesetzt, es gäbe nur dann normale Entwicklung, wenn keine experimentelle
Störung des Keimes eintrat, Gesetzt also, drei der vier
ersten Forschungszellen lieferten nur 3/4 der Organisation des Erwachsenen
, ein Bruchstück der Blastula lieferte nur ein Bruchstück des Organismus
. Dann möchte man sagen: der vierzellige Keim, die Blastula
usw. enthalten eine sehr komplizierte auf die Lieferung des Organismus
„eingestellte44 Maschine.
Aber so ist es n i c h t! Jedes Bruchstück eines der in Rede stehenden
Zellsysteme, die eben darum „harmonisch-äquipotential" heißen, kann
das Ganze liefern. Ja, das Ganze entsteht auch, wenn die Zellen eines
Systems in bezug aufeinander verlagert werden, wenn ein c an Stelle
eines h tritt und umgekehrt; ja auch, wenn zwei Systeme verschmolzen
werden, entsteht ein Ganzes.
Von außen her wird die typische Form nicht bedingt, mögen auch
allgemeine äußere „Bedingungen", wie Temperatur, Sauerstoff, Salbu
tat für normale Entwicklung notwendig sein.
Man wird sagen : Embryologie geschehe auf Grund der Zerlegung
einer chemischen Substanz, und diese sei überall im Svstem vorhanden,
so daß jeder Bruchteil des Systems noch das System sei. Aber eine
„rein chemische" Theorie der Entwicklung ist ^unmöglich, und zwar,
von anderem abgesehen, schon allein aus dem Grunde, weil es im Organismus
viele Organe von demselben Chemismus und derselben
Histologie aber jeweils von ganz spezifischer Lage, Form und
Größe gibt: man denke an die so äußerst spezifischen einzelnen Knochen
des Wirbeltierskelets! Um ihre Entstehung zu verstehen, müßte, wenn
„mechanisch" erklärt werden soll, nicht nur Chemismus, sondern eine
Maschine, in dem von uns definierten Sinne, vorhanden sein.
Eine „Maschine" nun aber kann gerade n i c h t da sein! Denn eine
Maschine bleibt nicht, was sie ist, wenn man ihr beliebige Teile nimmt
oder ihre Teile beliebig verlagert!
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