http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1925/0011
Driesch: Die metapsych. Phänomene im Rahmen der Biologie. 7
Könnte aber nicht die Maschine mit Regulatoren versehen
sein und jede mögliche experimentel hergestellte Verstümmelung oder
Verlagerung voraussehen?
Da die Zahl der Zellen eines harmonischen Systems selbstverständlich
eine endliche ist, könnte es grundsätzlich allerdings maschinelle
Regulatoren für jede denkbare experimentelle Entnahme von Zellen
geben. Aber wie ungeheuer kompliziert müßten diese Regulationen,
diese Maschinellbedingungen' sein 1 Man bedenke: ich kann von den
1000 Zellen der Blastula 20 fortnehmen, aber auch 2 5 oder 47 oder in
oder 237, ganz wie ich will; ja, auch w o ich will. Und dazu kann ich die
Zellen noch verlagern; stets ist der ganze Organismus das Ergebnis.
So wird also die Existenz von Regulatoren zwar nicht logisch
unmöglich, aber ganz unfaßbar unwahrscheinlich.
Es gibt nun aber sogar den Schritt von der unfaßbaren UnWahrscheinlichkeit
zur Unmöglichkeit: Ich kann den Keim ja auch, etwa
durch Druck, durch Wärme, deformieren; es schadet seiner normalen
Entwicklung nicht. Hier aber sind unendlich viele Grade des Möglichen
vorhanden; eine auf unendlich viele Störungen eingestellte
Maschine gibt es aber auch logisch" nicht*).
e) So ist also per exclusionem die Unmöglichkeit einer mechanischen
Auflösung der Morphogenese durch zwei voneinander unabhängige
Gedankenreihen bewiesen. Die Lehre von der Autono in i e des Lebendigen
, der sogenannte Vitalismus ist stabilisiert.
Gewiß ist der Organismus ein m aterielles System, seine normalen
Funktionen sind sogar abhängig von ganz bestimmten materiellen
Bedingungen. Aber er ist nicht ein „mechanisches" System. Zu den
Agentien der Materie kommt etwas hinzu. Nennen wir es mit einem
Wort des Aristoteles Entelechie, ohne freilich mit diesem Worte
ganz denselben Sinn zu verbinden wie der große Grieche.
Wir können diesen Gedanken auch so formen: Die Vorgänge der
Formbildung sind nicht gegeben, sind nicht mathematisch ableitbar
, auch wenn man kennen würde: Lage, Geschwindigkeit und Zentralkräfte
jedes einzelnen das Ei konstituierenden materiellen Teilchens.
Denn Entelechie, ,,ari sich" zwar nicht keimbar, tritt in dynamische
Wechselbeziehungen mit der Materie des Organismus.
Ehe wir diesen Gedanken weiter nachgehen, sehen wir zu, ob es
nicht noch andere unabhängige, den Vitalismus beweisende Gedankenreihen
gibt.
Aus der Lehre von der Anpassung lassen sich, wie ich meine, nur
Indizien, aber keine ganz strengen „Beweise" der Autonomielehre
entnahmen. Die Lehre von der Bildung der sogenannten Antitoxine
zum Beispiel macht nur, wegen ihrer spezifischen Zuordnung zu
spezifischen Toxinen, eine mechanische Erklärung ungeheuer unwahrscheinlich
, aber nicht, was zu einem „Beweise" erforderlich wäre,
ganz unmöglich.
*) Näheres in meiner Studie „Logische Studien über Entwicklung
II. Teil" in Sitzungsberichte der Akademie Heidelberg 1919, Nr, 18.
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