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Dennert: Das Feuergehen der Inder.
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dickere Aeste, und je länger die Menschen auf sich warten ließen,
die sich diesem heißen Gang unterziehen wollten, desto mehr wurde
Holz herzugetragen und geschürt, so daß wir Europäer uns von der
ausströmenden Gluthitze entfernen mußten. Nachdem wir etwa dreiviertel
Stunden gewartet hatten und das verbrannte Holz und die
glimmende Asche eine ganz nette Höhe erreicht hatten, erscholl aus
einiger Entfernung die Tempelglocke, und ein Zug von 2 5—3o Männern
und Frauen kam unter Führung eines Mannes — vielleicht eines
Priesters oder Tempeldieners — aus dem Innern des Tempels, begleitet
von der üblichen Festmusik. Es fiel mir, sobald der Zug näherkam
, ein merkwürdig starrer Ausdruck in allen Gesichtern auf, der
mich davon überzeugte, daß die Menschen alle unter Hypnose wandelten
. Sie gingen ohne jegliche Furcht, ja ohne ein Anzeichen irgendwelchen
Bewußtseins von etwaiger Gefahr direkt auf den brennenden
Ort* zu, und unter dem Tamtam der Instrumente sowie unter atemloser
Spannung der indischen Zuschauer marschierten sie langsam und
ohne eine Miene zu verziehen die ganze Länge des Platzes entlang
direkt in der Mitte, selbstverständlich barfuß, die Männer mit einem
Lendentuch, die Frauen mit ihrem üblichen ,Sari' bekleidet. Einige
Frauen trugen kleine Kinder von 2—4 Jahren auf der Hüfte, und
man konnte an den von dem Rauch zwinkernden Aeuglein der Kleinen
, wie auch an den vor Furcht vor der Hitze hochgezogenen Beinchen
genau erkennen, daß die Hypnose, unter der die Mütter wandelten
, sich auf die Kinder nicht erstreckt hatte. Die meisten der Feuerwandler
erwachten sofort, als ihr«Fuß gewöhnlichen Boden betrat; wer
aber in seiner Trance verharrte, der wurde von zwei Männern, die
rechts und links vom Ausgang des Glutbodens standen, mit Peitschen
aus Lederriemen ganz empfindlich über den Rücken gehauen,
so daß die armen Menschen nach dem ersten Schlag, nur in ein oder
zwei Fällen nach dem zweiten Hieb, mit einem Ruck zu erwachen
schienen. Ob und wie weit das Feuer bzw. die glühendheiße Asche die
Füße der Wandelnden verletzt hat, entgeht meiner Beurteilung; ich
nehme aber an, daß sie keinen Schaden erlitten haben*)."
Daß letzteres tatsächlich beim ,,Feuergehen' nicht der Fall ist,
ist von anderen Beobachtern bereits festgestellt worden. Der vorstehende
, sehr dankenswerte Bericht bestätigt zunächst die Tatsache
des in Rede stehenden Phänomens im allgemeinen, dann aber enthält
er Beobachtungen, welche die Ansicht D a n g e 1 s , daß es sich dabei
um Hypnose handelt, vollauf bewahrheiten, nämlich der starre Blick
der Feuergeher, das Verhalten der Kinder im Gegensatz zu den Müttern
und das Erwachen der Leute beim Betreten des gewöhnlichen Erdbodens
bzw. nach dem Peitschenhieb. Die Sache kann danach wohl
als aufgeklärt gelten.
Mir erscheint das Phänomen des Feuergehens unter dem Einfluß
von Hypnose und Suggestion besonders nach einer Richtung ganz be-
*) Es sei betont, daß dieser Bericht ohne Kenntnis des Artikels von
Dangel geschrieben wurde.
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