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74 Psychische Studien. LH. Jahrgang. 2. Heft. (Februar 1925.)
tarn Bolk entdeckte, daß mehrere speziell menschliche Organeigentümlichkeiten
als beim Menschen nicht zur weiteren Entwicklung gekommene
foetale anzusehen sind, während bei dem anfangs sehr ähnlichen
Foetus des Schimpansen eine Fortentwicklung derselben eintritt. In ähnlicher
Weise kann man sich vorstellen, daß dasjenige, was den genialen
von den gewöhnlichen Menschen unterscheidet, in der Beibehaltung
einer bestimmten kindlichen Eigentümlichkeit zu finden ist.
Vielleicht ist der Unterschied zwischen Eklektiker und Autoritätsgläubiger
der, daß letztere gelernt haben, die Phantasie bei ihren, eigentlich
Vorurteile zu nennenden, Urteilen zu verdrängen, weil der II erdenwill
e ihnen ihre Betätigung nur gestattet, wenn es s'ch um Bestätigung
der Urteile ihrer Autoritäten handelt. So denken sie, in gewollter Btv-
schränktheit, viel weniger frei als die Eklektiker, machen aber den Eindruck
schnell und entschieden urteilender Menschen, da sie sofort mit
ihren — schon fertigen — Vorurteilen bei der Hand sind.
Die Eklektiker dagegen lieben es, bei neuen Fragen ihr Urteil aufzuschieben
, weil sie, wenn die Sache sie überhaupt interessiert, zu einem
ursprünglichen Urteil fähig sind. Natürlich braucht ein solches Urteil
im allgemeinen mehr Zeit: da das Unterbewußtsein, aus dem selbständige
Gedanken durch phantasierendes Assoziieren der dem Oberbewußtsein
oft schon längst entschwundenen Vorstellungen und Erinnerungen
hervorgebracht werden, dazu nicht in jedem Augenblick bereit und fähig
ist. Was ferner die oft mangelhafte Vorbildung der Eklektiker im Vergleich
mit dem meist vollständigeren und geordneten Wissen der Autoritätsgläubigen
betrifft, so interessiert gerade die selbständigen Köpfe
nicht jeder Stoff und jede autorisierte Meinung. Man findet deshalb
oft gerade unter ihnen Unaufmerksamkeit und ungleiche
Aufnahme des Wissensstoffes; wie anderseits die Autoritätsgläubigen
natur- und erfahrungsgemäß die besten Examina machen. Natürlich
trägt der Mangel an schulmäßig korrektem Wissen noch das Seine dazu
bei, daß neue Ideen von selbst autoritätsgläubigen Autoritäten abgelehnt
werden. Sogar ein Poggendorff weigerte sich, die in nicht fehlerfreier
Form entwickelte große Entdeckung Robert Mayers in seine Annalen
aufzunehmen. Uebrigens erinnere man sich an Ostwalds Aeußerung
über die Schule: eine zähe, unerbittliche Feindin der genialen Begabung.
Wenn ein in irgendeinem Fach hervorragender Geist sich nachträglich
die in einem anderen Fach notwendigen» Kenntnisse erworben
hat, wird auch er, wenn er sich darin nicht hat approbieren lassen, als
unfähiger Dilettant betrachtet. Schuster, bleib bei deinem Leisten, heißt
es in der Gelehrten weit. So werden die Fachgelehrten wohl erst, nachdem
er tot und begraben sein wird, die kosmogonische Arbeit des genialen
Wiener Maschineningenieurs Hörbiger studieren, so erstaunlich
auch der Umfang seiner Kenntnisse auf den betreffenden Gebieten ist.
Schon 1913 schrieb der Fachgelehrte Riem in „Unsere Welt" darüber:
„Endlich ist ein Werk zum Abschluß gebracht, das zu den geistvollsten
seiner Art gehört. Das Buch enthält auf fast 800 Seiten Text in Lexikonformat
eine solche Fülle von neuen Gedanken, die alle Fragen der
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