http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1925/0091
Reddingius: Zur Rehabilitierung des Uebernatüriichen. 87
keitsgefühl als Eigenschaft unserer Ichhelt. Mit Unrecht sagt man, daß
unsere Wahl durch Motive verursacht wird; eine verursachte Wahl ist
Unsinn. Das freie Unterbewußtsein wählt aus den ihm zur Verfügung
stehenden Motiven. Diese motivierenden Vorstellungen können uns
einesteils anläßlich der Reizung der Sinnesorgane und Assoziationsbahnen
bewußt werden, andernteils auch ohne eine solche Veranlassung.
In letzterem Falle bewirkt die, besonders in genialen Menschen tätige,
Phantasie das Dynamisch" und eventuell Bewußtwerden dieser Motive.
Der Zustand von Bewußtlosigkeit, in welchem unser Oberbewußtsein
sich befinden kann, darf uns nicht schließen lassen, daß ein unbewußter
oder unbewußt wirkender Geist möglich ist. Denn unser Bewußtsein
deckt sich nicht mit dem Geiste in seiner Vollständigkeit, sondern
ist nur eine Auswahl von auf die Außenwelt gerichteten Wünschen,
Gefühlen, Vorstellungen und Gedanken, eine Auswahl aus einer weit
mehr umfassenden Iehheit.
Das sollte ein „blinder" Willen sein, der z. B. im Insektenkörper
das kalte Licht, welches der Mensch noch nicht herzustellen imstande ist,
erzeugt und anwendet; der, längst bevor der Mensch die Leuchtturm-
treflektoren konstruierte, dem Leuchtorgan eines Tiefseefisches einen
parabolischen, dem eines Kraken einen elliptischen Reflektor beigab;
der die Schwimmblasen verschiedener Fischarten mit dem für jeden
Fall zweckmäßig konstruierten Flüssigkeit- oder Hebelmanometer versah
; der die Zeichnung auf dem Federkleid des Pfauen entwarf; der die
für das Leben unentbehrlichen chemischen Eigenschaften des Kohlenstoffs
und die nach Hörbiger auch kosmogonisch so wichtigen physischen
Eigenschaften des Wassers schuf?!
Die Unmöglichkeit eines zweckmäßig aber unbewußt wirkenden
{Subjekts sah Geley nicht ein; dieses ist der aus Schopenhauers Lehre
übernommene Grundfehler seines wichtigen Buches. Dieser sehr verbreitete
Irrtum scheint hierauf zu beruhen, daß die einzelnen Phasen
irgendeiner Bewegungsfolge, welche wir erlernen — beim Radfahren
z. B. —, zwar anfangs auf bewußten, später aber unterbewußt werdenden
Innervationsimpulsen beruhen, und daß man nicht daran denkt, daß
das Bewußtsein dieser Wirkungen nicht verschwunden zu sein braucht,
sondern nach wie vor vorhanden sein kann, allerdings in einem dem
dem Oberbewußtsein unzugänglichen Teile des Ich. Nichts weist darauf
hin, daß das Denken, Wünschen und Fühlen im Allgeist weniger vollkommen
sei als das unsrige, und somit unsere Bewußtseinsart eine
höhere, eine — wie z. B. Schopenhauer meinte — vom nicht individualisierten
Allgeist zu erstrebende sein sollte.
Nur in der wahrnehmbaren Welt der Wirkungen ist der Raum,
denn, wie Busse sagt: „Gedanken, Gefühle, Empfindungen haben weder
räumliche Größe noch räumliche Gestalt, sie haben keinen Ort im
Raum und zwischen ihnen bestehen keine räumlichen Beziehungen."
Aber nicht nur der Raum, sondern auch die Zeit ist bloß in der Welt
der wirkenden Geister. Wir wissen, daß man bisweilen in wenigen
Augenblicken ganze Geschichten mit vielen Ereignissen träumen kann.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1925/0091