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194 Psychische Studien. LH. Jahrgang. 4. Heft. (April 1925.)
Pantheismus kann in substantiellem oder dynamischem Sinne verstanden
werden. Im ersteren Sinne bedeutet er die Wesensgleichheit von
Gott und Mensch, im zweiten dagegen das Erfülltsein unserer ganzen
Welt von göttlicher Kraft. Er bezieht sich somit entweder auf das
„Alleine \ das hon kaipan als universales Wesen, an dem alle endlichen
Wesen mit Einschluß des Menschen teilhaben, oder auf das Ali-
Eine als universale Kraft, welche die von seinem Wesen verschiedenen
Geschöpfe ins Dasein ruft und im Dasein erhält.
Die Eigenart des stark gefühlsbetonten mystischen Prozesses brach 'e
es zu allen Zeiten mit sich, daß die Inbrunst der Hingabe des Menschen
an das Ureine alle Kluft des Wesens zwischen beiden vergessen ließ.
Ja, sie bekannte die Wesensgleichheit sogar ausdrücklich in Formeln,
machte dann aber vielfach außerhalb der ekstatischen Union im Zustande
der Reflexion die Verschiedenheit des Wesens geltend, hielt
somit in diesem Falle die Einheit des göttlichen und menschlichen
Wesens mehr im Sinne der gefühlsmäßigen Vermählung als im meta
physischen Sinne der Wresensgleichheit fest.
Die einzelnen Mystiker verraten dabei eine verschiedenartige pan-
theistische Neigung, den metaphysischen Wesensunter schied zwischen
Gott und Mensch zu vergessen. Den ausgesprochenen Charakter eines
pantheistischen Monismus trägt die indische Mystik, wenn sie Brahma
und Atma, das göttliche und menschliche Selbst für gleichen metaphysischen
Wesens erklärt. In eine ähnliche Richtung weist der aus
der neuplatonischen Mystik stammende Begriff der Theiesis oder Vergottung
. Die katholische Kirche aber verurteilte die pantheistische
Mystik ebenso wie die quietistische und hielt daran fest, daß in
der Unio mystica die metaphysische Kluft zwischen Gott und Mensch
nicht überbrückt werde.
Schon das Paulinische Wort: ,,In ihm leben, weben und sind wir'*
verbindet mit dem Bewußtsein, von der * göttlichen Alleinheit durchströmt
zu werden und dem Sein wie Tun nach ganz abhängig zu
bleiben die Lehre, daß Gottes Wesen erhaben ist über dem der Geschöpfe
. Jener Ausspruch ist typisch für einen dynamischen, nicht
substantiellen Pantheismus und die entsprechende Form der Einheitslehre1
).
Wie stark die Neigung des Mystikers zu einem gefühlsmäßigen
Pantheismus ist, beweist außerhalb der christlichen Weltanschauung
Hölderlins Wort im Hyperion: ,,Eins zu sein mit allem, was lebt, in
seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist
der Gipfel der Gedanken und Freuden, das ist die heilige Bergeshöhe,
der Ort der ewigen Ruhe, wo der Mittag seine Schwüle und der Donner
seine Stimme verliert, und das kochende Meer der Woge des Kornfeldes
gleicht. — Eins zu sein mit allem, das ist das Leben der Gottheit
, das ist der Himmel des Menschen/'
*) Vergl. Verweyen, der religiöse Mensch und seine Probleme, 1922.
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