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Kleine Mitteilungen.
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welches nach allem bloß rein individuellen Zwecken angepaßt ist, nach
Auflösung des physischen Menschen aufgehen im Weltall? Nein! Das
wäre vernunitswidrig!
Im Gegenteil! Es liegt klar auf der Hand, daß auch hier, wie
überall, die Natur nichts Zweckloses eingerichtet hat.
Es ist daher zweifellos und logisch, daß das Unterbewußtsein im
diesseitigen Leben seiner Aufgabe nicht ganz zu genügen imstande ist,
daß vielmehr die volle Lösung derselben ihm jenseits des physischen
Lebens bevorsteht.
Es wäre demnach sehr leicht denkbar, daß das diesseitige Leben
bloß, wie die Theosophen sagen, eine Läuterungsetappe der Seele darstellt
— welche wohl in der körperlosen Zwischenzeit unter bestimmten
Voraussetzungen bestrebt ist, mit den ihr zunächst stehenden Personen
in Verbindung zu treten.
Prag, im Januar 1925. _ Obstl. AI. Konecny.
Phantom eines Lebenden oder Verstorbenen.
Der von Prof. Dr. Ludwig im Dezemberheft 1924 unter obiger Ueber-
schrift veröffentlichte Bericht hat mich deshalb so sehr überrascht, weil
mir einige Wochen vorher Herr O. S., ein sehr angesehener Bürger der
Stadt Villach in Kärnten, einen ähnlichen Fall erzählte, den er selbst erlebt
hatte.
Im Februar 1889 wohnte S. in München in einem möblierten Zimmer.
Als er eines Tages um die Zeit der Abenddämmerung sich auf das Sofa
niederlegte und seine Angelegenheiten überdachte, trat plötzlich ein junges
schönes Weib in! das Zimmer und schritt auf S. zu. S. war so sehr
überrascht, diaß es ihm gar nicht zum Bewußtsein kam, daß ein Mensch
von Fleisch und Blut in das Zimmer gar nicht hätte gelangen können,
weil die Wohnungstür abgesperrt und niemand sonst in der Wohnung
war. Die Zimmertür war allerdings nicht abgesperrt, sondern nur zugeklinkt
. S. fragte die Erscheinung: „Was wollen Sie?" Die Gestalt gab
keine Antwort, sondern legte sich, schweigend zu ihm auf das Sofa. S.
war wie gelähmt und bemühte sich, die Lähmung zu überwinden. Endlich
gelang es ihm, sich aufzurichten. Die Erscheinung ließ nun ab
von ihm, ging zur Tür und verschwand. S. schaute nach, aber die Erscheinung
blieb verschwunden. Die Wohnungstür war ordnungsmäßig
abgesperrt.
Seiner Wohnungsgeberin und dem Mediziner, der ein zweites Zimmer
bewohnte, erzählte S. nichts von seinem Erlebnis, als die beiden nach
Hause kamen. Am folgenden Tage aber weihte er seinen Berufsfreund
ein und ersuchte ihn, auf seinem Zimmer auf die Erscheinung zu warten,
vielleicht werde sich das Ereignis wiederholen. Um die Dämmerstunde
warteten diesmal S. und sein Berufsfreund vergebens auf die Erscheinung.
Der Freund lachte ihn selbstverständlich aus und meinte, S. habe nur
sehr lebhaft geträumt. S. war jedoch überzeugt, vollkommen wach gewesen
zu sein.
Am nächsten Tag legte sich S. — er war wieder allein in der Wohnung
— abermals um die Dämmerstunde auf das Sofa. Diesmal hatte
er nicht nur die Wohnungstür, sondern auch die Zimmertür abgesperrt.
Die Erscheinung zeigte sich bald darauf, nachdem sich S. niedergelegt
hatte. Der Ablauf war wie das erste Mal. S. konnte erst nach längerer
Zeit sich aus der Lähmung aufrütteln. Sein Bewußtsein war auch diesmal
ungetrübt.
Als abends die Wohnungsiiihaberin und der Mediziner nach Hause
kamen und sie nun mit S. beisammen saßen, fragte die Frau Herrn S.,
warum er so blaß sei, ob er etwa krank oder ob ihm sonst etwas zugestoßen
sei. Nach längerem Zögern berichtete S. über sein Erlebnis.
Die Frau und der Mediziner sahen sich bedeutungsvoll an und erzählten,
sie hätten bisher darüber geschwiegen, daß es in jenem Zimmer mit dem
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