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Dreher: Wissenschaftliche Grundlagen des Okkultismus. 275
Hellsehers wird daher stets so lauten, daß sie uns, da sie ja nur eine
Art Geburtshilfe ist, sehr wahrscheinlich und einleuchtend erscheint,
sofern nicht der Hellseher — was auch vorkommt — mangels wirklichen
Empfanges aus unserm Unbewußten sich von Bildern irreführen
läßt, die ihm seine eigene Phantasie vorspiegelt.
Prophetie ist in gewissem Umfange ebenfalls leicht zu erklären
. Auch in dieser Hinsicht leistet uns die Pythia meist nur geistige
Hebammendienste, indem sie unsere unbewußten Vorgänge ans Licht
holt. Unser Unbewußtes ist in mancher Hinsicht dem verstandesmäßigen
Denken weit überlegen, denn dieses verfügt vergleichsweise nur über
individuelle Erfahrungen und die guten Lehren vom Herrn
Papa, während unser Unbewußtes zum Teil aus den Erfahrungen
der ganzen Art schöpft und viel sicherer über das uns Zu- und
Abträgliche urteilt. Wenn uns also die weise Frau vor Herrn X. warnt,
weil er uns betrügen werde, so sind wir maßlos erstaunt, wenn die
Prophezeiung nach acht Tagen restlos eintrifft. Hätten wir aber, anstatt
uns von vertrauenerweckenden Worten des Herrn X. gefangennehmen
zu lassen, unserm ersten instinktiv ablehnenden Gefühl, das unbewußt
in uns fortlebt, nachgegeben, so hätten wir uns die 20 M. für die Pythia
sparen können. Oder wir beabsichtigen, einen Ileiratsantrag zu machen.
Nur ein in manchen Dingen so kurzsichtiges Instrument wie unser Verstand
kann über den Erfolg im Zweifel sein. Unser Unbewußtes kennt
manche Bedingungen des Erfolges zehnmal besser als wir, und wenn
wir nicht mit der ewigen Ungeduld unseres Wollens den Weg zum Erfolge
verschütten, so bereitet ihn uns das Unbewußte oft ganz von
selbst. In unsrer Brust sind unsres Schicksals Sterne, und wir sind
Propheten, wenn wir sie erkennen.
Ein großes Gebiet scheinbar okkulter Tatsachen erschließen wir
also mit einer einzigen Voraussetzung: der E i 11 -
fühlungsmöglichkeit sensitiver Personen in die
unterhalb unserer Bewußtseinssphäre sich abspielenden
Vorgänge.
Schwieriger wird schon die Frage nach der Möglichkeit objektiv
sichtbarer Materialisationen, nicht mechanisch hervorgerufener
Klopflaute und anderer telekinetischer Erscheinun-
g e n. Diese Voraussetzungen gewisser spiritistischer Phänomene sind
bekanntlich noch scharf umstritten und werden von den Verteidigern
der bisherigen Schulauffassung kurzerhand als Sinnestäuschungen,
Halluzinationen oder Betrug abgetan.
Welche grundsätzlichen Bedenken sollten uns jedoch hindern, für
wahr zu halten, daß Menschen besonderer Art fähig sind, materielle
Substanz ihres Körpers durch psychische Kraft in andere, freibewegliche
materielle Substanz umzuwandeln — erleben wir doch täglich das hundertmal
größere Wunder der Menschwerdung, und wissen wir, besonders
aus den Beobachtungen von Carl Ludwig Schleich, daß Hysterische
vermöge ihrer Einbildungskraft materielle Veränderungen an und in
ihrem Körper hervorrufen können, die zum Teil ebenso wunderbar
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