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Kritzinger: Camille Flammarion f.
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Auch hier ist der Entschlafene mehr als Anreger für weiteste
Kreise, weniger als kritischer Forscher im nüchternen, germanischen
Stil aufgetreten. Einen Vorwurf wird man ihm daraus nicht machen
können, da die Mitarbeit der Masse nötig ist, um die so seltenen, für
stärkere mediale Leistungen befähigten Personen aufzufinden.
Dr. H. II. K r i t z i n g e r , Dresden.
Den obigen Ausführungen unseres Mitarbeiters fügen wir noch folgende
bedeutsame Schilderung bei, die wir in der „Voss. Ztg." von
deren Pariser Korrespondenten am 13. Juni 1920 lesen:
Besuch bei Flammarion.
Paris, im Juni.
Das schöne Haus in Jinisv stand den einheimischen wie den frem-
den Journalisten weit offen. Geradezu rührend war es, wie der alte
Mann, der bis zum letzten Augenblick im Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte war, mit den oft recht zudringlichen und vorlauten Gästen
umzugehen wußte.
Seit Jahren hatte sich die feste Gewohnheit herausgebildet: War
ein Journalist um irgendein Ereignisses willen um einen sachverständigen
Artikel verlegen, so wandte er sich voller Zuversicht an den
patriarchalischen Gelehrten in Juvisy. Erdbeben, Marsproblem, Okkultismus
, Kleptomanie, religiöse und metaphysische Fragen, philosophische
Probleme, Untergang des Abendlandes, Ueberschwemmung der Seine,
übelriechendes Trinkwasser, Bubikopf, soziale Probleme — über alles
wußte Camille Flammarion Bescheid.
In seiner gütig-lächelnden Art, die nie den starken Lebens- und
Todesernst vermissen ließ, erteilte er geduldig halb witzige, halb ernsthafte
» immer tiefschürfende Antworten. Gar manche betrachteten den
enzyklopädistischen Greis als „vieux-jeu", mokierten sich über gewisse
rührende Schrullen, die den nachdenklichen Besucher wiederum oft bis
zu Tränen erschütterten: aber jegliche Keckheit verrauchte, wenn die
abgrundtiefen und doch wieder so kristallklaren Augen sich auf den
Uebeltäter richteten.
Nicht einmal Ana toi e France gab so zwingend das Gefühl des
Außerweltlichen. Unvergeßlich ist mir der Augenblick, wo er, nach
langem Gespräch uns bis in den Garten begleitend, mit suggestiver
Stimme die Abschiedsworte sprach: „Rechnen Sie fest darauf,
ich werde aus dem Jenseits ein Zeichen geben. Sie
werden schon kurze Z e i t n a c h m einem Tod e von m i r
hören. Alle wissenschaftlichen Vorsichtsmaßregeln
sind getroffen. Lauschen Sie auf m ein W o r tl 4
Damals lächelte keiner darüber: wird es einer heute tun?
In welchem Grade Flam m arion sich bis an das Ende des
Lebens seine nicht zu erschütternde Ueberzeugtheit von der Realität des
Transzendenten, das für ihn durchaus nicht jenseits aller möglichen
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