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Vom Büchertisch.
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merkungen über einen Punkt, der vielleicht Anlaß zu Mißverständnissen
geben könnte.
Immer noch stehen weite Kreise den behaupteten Tatsachen auf
diesem Gebiete ablehnend gegenüber. Solange dies der Fall ist, beruht
ein erstes, vielleicht das Hauptverdienst jeder neuen Arbeit darauf,
ob ihre Methode und ihre Ergebnisse geeignet sind, dieser Ablehnung
entgegenzuwirken und neue Ueberzeugte zu schaffen. Pagenstechers
Arbeit hat diese Probe bereits bestanden: die sehr skeptische ärztliche
Untersuchungskommission ist — um nur ein Beispiel zu nennen —
vollständig Überzeugt worden. Ganz zu trennen von diesem Verdienst
ist die Frage, ob oder wieweit man den theoretischen Aufstellungen
des Autors beizupflichten vermag. Pagenstecher ist Empiriker, Arzt,
nicht Philosoph. Er ist vom Materialismus hergekommen und, wie bereits
erwähnt wurde, beim Spiritismus gelandet. Das ist nicht eben
wunderbar, sondern hat vielmehr eher etwas Normales: der Spiritismus
ist Empirismus in Projektion auf das Jenseits, unter Festhaltung der
Begriffe Raum, Zeit, Persönlichkeit. Philosophische Erwägungen und
Bedenklichkeiten hemmen ihn nicht. Eben diese stehen bei uns dem
Spiritismus im Wege. Die Entwicklung des hochinteressanten Problems
des Spiritismus, dessen Wichtigkeit auch vereinzelte Gelehrte bei uns
jetzt zu empfinden beginnen, bleibt abzuwarten; hier soll nur betont
werden, daß Dr. Pagenstechers tatsächliche Ergebnisse nichts mit seiner
spiritistischen Einstellung zu tun haben und durch sie ebensowenig
beeinträchtigt werden wie die schönen psychometrischen Resultate der
ersten Kapitel* durch seine mir unhaltbar erscheinende Imprägnations-
theorie (die er übrigens an einer Stelle wohl selbst einmal als provisorisch
bezeichnet). Doch möchte ich keinen Zweifel daran lassen, daß
mir persönlich Pagenstechers spiritistische Erklärung des an sich sehr
interessanten Hauptfalles (psychometrische Prüfung der Flaschenpost
eines untergegangenen Dampfers, vielleicht der Lusitania) selbst danni
nicht wahrscheinlich ist, wenn man den Spiritismus gelten läßt. Doch
kann hierauf wie auf manches«,andere nicht eingegangen werden, schon
weil es nicht ganz geschmackvoll erscheinen will, die Miene des Vorstellenden
mit der Geste des Kritikers zu verbinden.
W. v. Wasielewsk i.
Dr. W. Jacobi, Privat-Doz. an der Psychiatr. Universitätsklinik zu Jena:
Die Stigmatisierten. Beiträge zur Psychologie der Mystik.
München, Verlag J. F. Bergmann. Preis 2.50 Mark.
Verfasser gibt eine sehr lehrreiche Schilderung der Stigmatisationen,
dieser rätselhaften Erscheinungen der Ekstase, die von den einem als
Wunder gepriesen, von den andern als Betrug verlacht wurden. Wissenschaft
und Kirche, Mediziner, Theologen und Psychologen haben dieses
merkwürdige Problem zu ergründen gesucht. Jacobi geht nun die ganze
Geschichte der Stigmatisationen durch, und führt uns eine große Zahl
von Einzelbildnissen vor, die, außer Bernhard von Clairvaux und Franz
von Assisi, meist Insassinnen von Nonnenklöstern waren. Durch die
Abgeschlossenheit des Milieus und durch das mystische sich völlige Versenken
in die blutigen Bilder von Jesu Wunden und das glühende Streben
, völlig in dem Erlöser aufzugehen und Teil zu haben an seinen Qualen
und Schmerzen, zogen sie ihren Körper in Mitleidenschaft umd widerspiegelten
so autosuggestiv den Ueberschwang innerer Erregung und
Bewegung in den zutage tretenden Stigmen. Verf. hat sein interessantes
Thema gründlich behandelt und gibt infolge Berücksichtigung auch der
letztbekanntgewordenen Stigmatisationsfälle vom Anfang des 20. Jahrhunderts
eine hübsche und erschöpfende Studie über ein Gebiet, das
durch die Aehnlichkeit der dabei zutage tretenden Erscheinungen mit
solchen an einzelnen Medien beobachteten auch den Parapsychologeri
interessiert, S.
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