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542 Psychische Studien. LH. Jahrgang. 9. Heft. (September 1925.)
Der alte Gedanke, daß das Leben ein Traum sei, verdeutlicht sich in,
diesem Zusammenhang auch zu der dichterischen Erkenntnis: nicht
ein Traum, den wir träumen, sondern einer, in dem wir geträumt werden
. Mich hat wohl nie die gedankliche Folge einer Entdeckung, einer
Beobachtung, die Bestätigung auch ohne Weg bisher erahnter Schlüsse
so bewegt wie diese Vorstellung, daß Erde und Leben, daß dieses ganze*
uns bedrückende Geschehen nichts als das Innenleben eines umfassenden
Geistes sein kann, der vielleicht für seine körperlosen Vorstellungen
hält, was uns volle und bittere Wirklichkeit dünkt; daß, wo wir Schicksale
, merkwürdige Zufälle, Fügungen und was sonst sehen, nur dasselbe
Assoziationsgesetz wirkt wie in unserer Seele; daß das Gesetz
unseres psychischen und des äußeren Geschehens vielleicht dasselbe ist!
^ Erst allmählich werden sich alle Folgerungen dieser Anschauungen
finden lassen. Doch erscheint das Geschehen,, von dieser Kraft durchwirkt
, als ein merkwürdiges Formspiel, als ein Ineinanderverwobensein
dichterischer Gebilde, ein Sternhaufen strahlender dichterischer Kristalle
— durchstrahlt und strahlend von, fast mit einer Art Leuchten,
sichtbaren, Kräften.
Das Erkannte steigert sich. Wie der Geist des Dichters aus den in
irgendwelcher Nähe zueinander liegenden Dingen, die zueinander eine
innere Beziehung haben, zu formen beginnt und nun immer mehr der
bezüglichen Wesenheiten heranschießen und sich zur kristallischen Gestalt
ordnen, wie sie selbst Aenderungen und Korrekturen unterworfen
wird, so wird sich eingehender Betrachtung das höhere Wesen ausgesprochener
Schicksalsleben darstellen. Genug, daß wir vorläufig die
noch ganz primitiven Gestaltungen, die ersten unentwickelten Schicksalsbildungen
zeigen, gefunden haben und damit einen Ausgangspunkt
für weiteres Forschen und Beobachten.
Neue Fälle.
Die folgenden Fälle der Anziehungskraft des Bezüglichen gehören
zu verschiedenen Abschnitten der Abhandlung.
Ein Herr reist von Frankfurt nach Berlin, kauft sich auf dem*
Bahnhof das Heft einer Zeitschrift, die er noch nie las, blättert es auf
und findet die Reproduktion eines Bildes, dessen Original sein Eigentum
ist. — /
Ein anderer Herr erzählt: „Bei der Lektüre von Hermann Hesses
,Demian stieß ich auf den Namen ,Abraxas'? den ich nie gehört hatte
und über den ich gern etwas erfahren hätte. Einige Zeit später blättere
ich, ohne an die Sache zu denken, im Laden! meines Buchhändlers in
den aufliegenden Büchern. Als erstes nehme ich Mereschkowskis ,Lio-
nardo' zur Hand, schlage wahllos eine Seite, etwa in /der Mitte des
Buches, auf und finde auf ihr eine Notiz über Abraxas." —
Zwei Fälle zurückkehrenden Eigentums: „Ich fuhr als Quartiermacher
für meine Familie in den Bayerischen Wald und machte in
Regensburg Station. Als ich es wieder verließ und im Zuge saß, bo-
merkte ich das Fehlen meines Hutes. Ich veranlaßte meine nachreisen-
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