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556 Psychische Studien. LIL Jahrgang. 9. Heft. (September 1925.)
ausscheidet Wohl laber ist der Tatbestand des § [86 (üble Nachrede)
erfüllt.
Der Angeklagte nimmt nun für sich den Schutz des § 193 in Anspruch
. Dieser Paragraph kommt in dem vorliegenden Fall nur soweit
in Betracht, als er tadelnde Urteile über wissenschaftliche Leistungen,
als Rechtfertigungsgrund ansieht. Selbst wenn man die Tätigkeit des
Mediums selbst nicht als wissenschaftliche Leistung betrachtet, so ist doch
das Experiment als solche Leistung anzusehen, denn es dient nach dem
Willen der Teilnehmer der wissenschaftlichen Forschung, und das Medium
bildet einen notwendigen Teil dieses Forscherkreises. Zum mindesten trägt
das Gericht keine Bedenken, die Tätigkeit des Mediums unter die Generalklausel
„und ähnliche Fälle4' einzureihen, die sich nicht etwa bloß auf
die letzten Worte „Urteile von Seiten eines Beamten", sondern auch auf
die ersten Worte „tadelnde Urteile" bezieht. (So auch Olshauson.;
Dem Angeklagten muß es bei einer wissenschaftlichen Kritik, die
hier zweifellos vorliegt, gestattet sein, die Möglichkeit der Hervorbringung
des Reifenphänomens auf manuelle Weise zu erörtern. Es kann
der Wissenschaft, also hier dem Angeklagten, nicht verwehrt werden, in
freier Meinungsäußerung irgendwelche, von seinen wissenschaftlichen
Gegnern zu ihren Gunsten gebuchte Vorgänge der Kritik zu unterziehen.
Gerade im allgemeinen Interesse ist die Erörterung und Aufklärung solcher
an sich der allgemeinen Erfahrung widersprechenden Erscheinungen
eine erwünschte Aufgabe der Wissenschaft,
Der Angeklagte ist davon überzeugt, daß das Reifenphänomen nur
auf natürlichem Wege hervorgebracht werden kann, und vermutet daher
mit Bestimmtheit auch im vorliegenden Falle, daß das Phänomen durch
manuelle Hilfe des Mediums zustande gebracht worden ist. Dem Angeklagten
muß aber auch gestattet sein, nicht nur die allgemeine Möglichkeit
einer Täuschung oder Selbsttäuschung der Sitzungsteilnehmer auszusprechen
, sondern auch im •einzelnen zu erläutern, welche Handgriffe
(Manipulationen) er dabei für geeignet oder bestimmend zur Hervorbringung
des Apport-Phänomens ansieht, und welche nach seiner Ansicht
das Medium auch angewandt hat. Tatsächlich behauptet er, im Endeffekt
damit auch eine nicht erweislich wahre Tatsache, welche das
Medium verächtlich zu machen geeignet ist. Das gesamte Kapitel aber,
das zwar den Okkultismus selbst und die okkultistischen Führer angreift,
teilweise sogar in spöttischer und herabsetzender Weise ist, doch, soweit
es das Medium selbst behandelt, im Rahmen einer wissenschaftlichen
Kritik gehalten.
Es fragt sich aber, ob etwa aus der Form der Kritik oder aus den
Umständen, unter welchen sie geschah, das Vorhandensein einer Be*
leidigung hervorgeht. Eine solche Feststellung würde nicht den Schutz
des § 193, sondern die Strafbarkeit nach § 186 eintreten lassen. Der
Privatkiäger sieht eine beleidigende Form insbesondere in dem Titelbild
des Buches, das einen Geist darstellt, der einer Tischrunde erscheint.
Unter dem Tisch erscheint eine große geisterhafte Knocheinhand. Dieses
Bild, das Dr. Kröner als marktschreierisch bezeichnet, scheint allerdings
den Spiritismus zu verhöhnen, aber ein direkter Zusammenhang mit der
Person der Frau Vollhart, von der ja doch nur ein kleines Kapitel des
Buches handelt, ist nicht ersichtlich.
Zur Frage der Beleidigungen „aus den Umständen": der Angeklagte
hat seine Kritik auf Grund der Veröffentlichung des Protokolls in dem
schon erwähnten Buch von Dr. Schwab erhoben. Der Wortlaut dieses
Protokolles hatte bei dem Angeklagten erhebliche Zweifel an der Echtheit
des Reifenphänomens entstehen lassen, da in dem Protokoll über die
Sitzung vom n. April insbesondere die wichtige Tatsache, daß die Hände
des Mediums während der ganzen Zeit fest auf dem Tisch lagen, und daß
auch Dr. Sünner diese schon vor Dunkelwerdem gefaßt hatte, nicht erwähnt
war. Er hat jedoch lange vor Veröffentlichung seines Buches,
das etwa im März oder April 1924 erschien, erfahren, daß das yon
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