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Schneider: Grundlegung des Okkultismus als Wissenschaft. 579
zu fragen, warum sie statthat. Denn, wie gesagt, Telos ist das Leben;
um eines Zieles willen müssen wir einen Sinn in die Welt hineintragen,
die an sich sinnlos ist. Das Ziel kann aber nur sein, diesen
Sinn so tief in der Welt zu vierankern, daß sie wirklich
das wird, was der Pa'ntheist bereits gegeben
glaubt: eine Gottheit. Wir müssen die Gottheit schaffen, nicht
aber ist bereits die Gottheit da! Das Leben existiert nur um dieser
Schöpfung willen: das in den Organismen sich andeutende Subjekt soll
die ganze Welt in sich aufnehmen, damit in ihr der Sinn den Zufall
vernichte, der sie jetzt beherrscht. Mußte dem Urkulturmenschen nicht
vor dieser Aufgabe grausen? Uns graust es nicht davor, aber das ist
kein Wunder, denn wir verspüren sie gar nicht mehr! Der moderne
Kulturmensch entledigte sich ihrer, indem er auch den Lebewesen,
sich selbst, das Telos absprach und überall den Zufall zum Herrscher
setzte. Da ward natürlich eine Sinnsetzung im Sinnlosen selbst zu
etwas Sinnlosem, denn nicht die geringste Nötigung lag dazu vor. Der
Urkulturmensch konnte sich nicht solchen Materialismus erkühnen,
aber auch der Kulturaufgabe fühlte er sich nicht gewachsen, darum
beharrte er beim Pantheismus des Wilden. Aber der Kulturmensch
der Zukunft wird weder Barbar bleiben noch Pantheist und so steht er
vor der bewußten Schöpfunjg des Weltgottes, vor der
eigenen Vergöttlichung. Ihm wird der Mythusaus okkultem
Schein zu schöpferischer Tat. Aus der Erscheinung
Gottes macht er volle Wirklichkeit, dem Angeschauten
v erhilft er zum Wesen.
Wir sehen also, daß der Okkultismus immerhin mit einem gewissen
Rechte Pantheismus ist. Der Mythus ist keine Lüge, nur eine
Antizipation. Er ist ein phänomenologischer Ausbau des Subjekts, der
mit Unrecht als volle Wirklichkeit gilt, da er doch nur die Extensität
der Welt in Beschlag legt, nicht die Intensität und Finalität. Trotz
alledem existiert das Subjekt — als Phänomenon! Und hier nun könnte
ich dies Kapitel beschließen, wenn nicht noch eine andere Prägung
des okkulten Subjekts gegeben wäre. Auch in Hinsicht auf das Subjekt
tritt uns auf okkultem Gebiete ein Dualismus entgegen, den wir nicht
übersehen wollen, denn es handelt sich hier um ein vielumstrittenes
Thema, das des Trau m e s , der von der modernen Psychoanalyse
einerseits verwertet wird, den Mythus zu erklären, anderseits dem
Okkultismus überhaupt den Garaus zu machen. Den Psychoanalytikern
ist der Mythus eine Traumschöpfung, damit aber führen sie, wie der
Materialismus, einen Todesstreich gegen den Okkultismus, verneinen
das Weltsubjekt, verneinen allen Weltsinn, verneinen die psychische In-
dividuation und natürlich auch die Materialisation, denn für den Traum
benötigen sie des Aethers nicht. Gegen all das ist Stellung zu nehmen
und zugleich das okkulte Wesen des Traumes zu erhärten.
Zwei Behauptungen stelle ich auf: der Mythus ist eine
teleologische Schöpfung, der Traum aber ist eine
Zufallsschöpfung. Ich will auf die erstere These nicht weiter
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