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592 Psychische Studien. LH. Jahrgang. 10. Heft. (Oktober 1925.)
Prof. Santoliquido öffnet das Papier und findet hier den Satz, den
er geschrieben hatte:
„Mon fds est
a Hammamet
en Tunisien
Sich schließlich vor Prof. Richet stellend, sagt Kahn: „Nun
bleibt mir noch übrig, zu sagen, was Sie in Ihrer rechten Hand haben.
Sie selbst haben geschrieben, was da steht ... Es steht da: ,Comment se
nomme nion bateau d petrole?'4
„Richtig," rief Prof. Richet, „das habe ich geschrieben!" Er öffnet
das Papier und zeigt uns den mit Bleistift geschriebenen Satz.
Diese drei Experimentatoren geben von dem Verlauf des zweiten
Teils Bericht, als alle Teilnehmer der Sitzung sich vereinigt hatten.
Sie bestätigen das Wunderbare des Phänomens, es wird von ihnen kein
Einwurf ausgesprochen.
Die Sitzung hatte um 91/2 Uhr begonnen und war um 10Vi Uhr
zu Ende.
Um 11 Uhr ruft mich Prof. Richet ans Telephon und sagt mir:
„Was uns Herr Kahn vorgeführt hat, ist wunderbar. Es ist zu wunderbar
, um wirklich zu sein. Ich habe es mir überlegt, und es ist mir
ein Zweifel gekommen. Er muß da einen Trick haben, den ich mir
folgendermaßen vorstelle. Kahn fordert zuerst, ein Papier berühren
zu dürfen, er hat meins berührt. Nun genügt es, daß er das beschriebene
durch ein unbeschriebenes ersetzte, um so Kenntnis von dem
ersten nehmen zu können, und indem er Papier nach Papier ersetzt,
wie in dem bekannten Gesellschaftsspiel, liest er sie alle mit seinen
Augen, indem er den Anschein erweckte, als ob er davon auf anormalem
Wege Kenntnis nehme."
„Ja," antwortete ich, „das ist zu überlegen. Vergessen wir jedoch
nicht, daß die Papiere, die die Herren Santoliquido und Humbert
hielten, ihre Hände gar nicht verlassen haben, und in keinem Augenblick
von Kahn berührt worden sind, Und beachten wir weiter, daß
das betrügerische Lesen der Zettel Kahn nicht erlaubt hätte, die Schreiber
zu bezeichnen. Denn er hat bis zu diesem Tage keinen der Teilnehmer
gesehen und gewiß nicht alle ihre Handschriften."
„Gleichwohl," beharrte Prof. Richet, „seien wir mißtrauisch. Ich
fürchte einen Trick. Es ist zu ungewöhnlich. Ich werde hier nicht
eher glauben, ehe ich nicht den Versuch mit viel größerer Aufmerksamkeit
wiederholt habe, und zwar allein mit Kahn."
Den nächsten Abend um 11 Uhr rief mich Richet von neuem an:
„Ich habe die Sitzung mit Kahn gehabt, die ich haben wollte," sagte er
mir. „Meine Zweifel sind entschwunden. Ich habe die vollständige
Gewißheit von der Wirklichkeit der Erscheinung. Wir haben es mit
einer großartigen und unerklärlichen Kryptästhesie zu tun. Man muß
sie studieren. Ich werde Ihnen den Bericht über das, was sich bei mir
zutrug zuschicken."
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