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710 Psychische Studien. LH. Jahrgang. 12. Heft. (Dezember 1925.)
noch nicht ausgewertet worden sind, obgleich ihre Ergebnisse durchaus
mit denen der modernen Parapsychologie übereinstimmen. Die Medien
des genannten Forschers unterscheiden bekanntlich ein erlebendes und
ordnendes Bewußtsein, das auf die Umwelt eingestellt ist, im Gegensatz
zum tiefsten, das seine Erkenntnisse von der „Gesamtheit" bezieht
und daher oft im entschiedenen Gegensatz zu jenen anderen stehen
kann. Von dem Wachbewußtsein als solchen (Ich-Wollen) wird noch
das Schlaf-Ich-Wollen unterschieden, indem im Schlafe eine entsprechende
Erweiterung eintritt, während in der Hypnose das Gehirnwollen
den ganzen Organismus leitet, wenn das Ich zugunsten anderer Vorstellungskomplexe
ausgeschaltet wird (p. 228, ^81). Tritt also im
Menschen (etwa beim Anblick von etwas Begehrenswertem) ein seelischer
Konflikt auf, so findet im Sinne dieser Anschauungen ein Kampf zwischen
Zentrum dieses sinnlichen Begehrens und jenem „tiefsten Unterbewußtsein
" statt, das in diesem Falle entweder auf Bejahung des
W unsclies oder auf dessen Verneinung eingestellt ist — das Ichbewußtsein
überträgt dann das Ergebnis dieses Kampfes auf die motorischen
Zentren im Gehirn, um die dem gewonnenen Impuls entsprechende
Handlung einzuleiten. Die höchste Freiheitwürde also in diesem Sinne
die absolute Unterordnung des Ichbewußtseins unter das tiefste Unterbewußtsein
bedeuten, das nach der Esoterik wiederum mit höheren
Zentren, vor allem jenem öfters erwähnten „Funken der Seele" (ind.
buddhi-manas) zusammenhängt — der Mensch tut dann, in der religiösen
Sprache ausgedrückt, den Willen Gottes, da auch jenes Kraftprinzip
wiederum nicht selbständig ist. sondern im inneren Zusammenhang
mit dem Absoluten selbst steht.
Die Esoterik ist im Grunde genommen nichts anderes als das im
monistischen Sinne zu Ende gedachte Welt- und Menschheitsproblem.
Sie ist die „Metaphysik des Okkultismus" als solche, da der derzeitige
Stand der parapsychologischen Forschungen noch nicht ausreicht, jene
Frage im Sinne einer Weltanschauungshypothese beantworten zu
können, wenn auch gewisse Hinweise in dieser Hinsicht bereits vorhanden
sind. Wohl aber kann sie fordern, daß ihm Ergebnisse an jenen
Feststellungen bemessen werden, da sie die tiefsten Erfahrungen des
Menschengeschlechtes enthalten. So schafft gerade der moderne
wissenschaftliche Okkultismus den Untergrund, 'auf dem sich das religiöse
Erlebnis als solches aufbaut; er weist damit zugleich den Zugang
auf zu einer Welt, die für die Mehrzahl der heutigen Europäer verschüttet
war, aber von deren Eröffnung ohne Zweifel der geistige Fort-
schrill im Laufe der nächsten Zeit abhängen wird.
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