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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1958/0073
Karl Friedrichs Freundschaft mit beiden Männern empfängt ihre Weihe
in großen Lebenskrisen. In der tiefen Erschütterung über den plötzlichen Tod
seiner Gemahlin begrüßt er den Zürcher Prediger Lavater „als einen vom
Himmel gesandten Boten"; in den Verdüsterungen der letzten Lebensjahre
holt ein Menschenalter später der greise Großherzog den alten Jung als seinen
Tröster nach Karlsruhe. Sie üben damit ihr eigentliches Lebensamt — das
Amt von Seelenärzten, die den leidenden Menschen der Epoche einen Heiltrank
zu bieten haben: ein biblisches Gefühlschristentum statt Rationalismus
und Orthodoxie, den Glauben an göttliche Erleuchtung der Seele statt des
Zeitglaubens an das Licht der Vernunft. Zwei Fromme von unerschütterlicher
Glaubensgewißheit begegnen dem „christlichsten unter den deutschen Fürsten
". Gemeinsamer Kampf für das Christentum gegen die Irreligiosität
einer falschen Aufklärung und Spannung zwischen den Anschauungen religiöser
Neuerer und eines konservativen Lutheraners kennzeichnen ihre
Freundschaft. Doch liegt der Schwerpunkt des Verhältnisses nicht im Dogmatischen
, sondern im Ethischen, in der praktischen Betätigung des christlichaufklärerischen
Ideals der Menschenliebe und Toleranz. So unvereinbar das
rationale Lebenswerk des fürstlichen Staatsmanns und der verworrene
Lebensgang des Jung-Stilling scheinen: gemeinsam ist ihnen die Bereitschaft
zum Dienst am Menschen. Die Liebe läßt Jung nacheinander zum Schulmeister,
Augenarzt, Nationalökonomen und religiösen Schriftsteller werden; und hinter
den großen Maßnahmen des Markgrafen und seiner Mitarbeiter - - Aufhebung
der Leibeigenschaft, Beförderung der Selbstverwaltung, Physiokratis-
mus, Schulreform, Verbreitung der Bildung - - steht weniger das Gebot der
„Staatsraison" als ein ethisch-pädagogisches Prinzip: der Glaube an die mögliche
Veredelung, an den Fortschritt des Menschengeschlechts.

Auf diesem Wege findet freilich der aufgeklärte Landesherr für das Verhältnis
von Staat und Kirche nur eine optimistische, moralisch-praktische
Zweckbestimmung: ihm hat die geistliche Obrigkeit mit der weltlichen zusammenzuarbeiten
an der Beförderung der Tugend als der Bedingung menschlichen
Glücks, an der Verwirklichung seines humanen Wunsches, „ein freies,
opulentes, gesittetes, christliches Volk zu regieren". Den Lavater und Jung
dagegen ist die allzu diesseitig gewordene Kirche keine Heimat mehr. Hinter
ihren Erneuerungsbestrebungen spürt der Fürst die gefährliche Tendenz zu
Geheimbündelei und Sektiererei; er verteidigt seine sichtbare Kirche gegen
Lavaters unsichtbare aller von Christus Erwählten und Erweckten. Er hat
nur sein irdisches Haus zu bestellen und im übrigen auf Gottes Gnade zu vertrauen
. Lavater bescheidet sich nicht. Weil es ihm nicht um das Glück, sondern
um die höhere Bestimmung des Menschen geht, sucht dieser „faustische"
Mystiker der Geniezeit die Grenzen menschlicher Erkenntnis zu sprengen. In
den „Physiognomischen Fragmenten", die er dem fürstlichen Freunde widmet
, forscht er in der Vielfalt der Menschengesichter nach dem Ebenbild Gottes.
Mit fortschreitender Reinigung und Vervollkommnung wird der Mensch, von
Gott erleuchtet, immer tiefer in die übersinnliche Welt eindringen, die Göttliches
und Irdisches zugleich trennt und verbindet.

Der Widerspruch zwischen seiner Schwärmerei und der nüchtern-praktischen
Ä^erstandesklarheit des Markgrafen zeigt sich besonders deutlich in
ihrem Verhältnis zum Mesmerismus. Der berühmte Arzt Franz Anton
Mesmer aus Itznang am Bodensee entdeckte das, was wir heute Suggestion
und Hypnose nennen. Der Wachschlaf, in dem der Mensch bei geschlossenen

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