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anschauungsaspekten gegen Alkohol, Tabak und für strengste Pflanzenkost
— das Ei, als vom Tier kommend, wurde auch verdammt — und führte als
unermüdlicher politischer Journalist und Agitator einen zähen Kampf gegen
die seiner republikanischen Anschauung widerlichen Autoritäten. Die
dauernden Händel mit der Zensur und mehrmalige Gefängnishaft konnten
seinen verbohrten Eifer nicht mindern. So war Gustav (von) Struve — das
„von" hat er sich als linientreuer Republikaner wiederholt verbeten — den
radikal gesinnten Kreisen in Baden bestens empfohlen, und er war agitatorisch
gut trainiert, als die Welle der Februar-Revolution von Paris her nach Baden
überlief.
Am ersten badischen Aufstand im April 1848, vom Seekreis her, war Struve
maßgeblich beteiligt, allerdings durch seine äußere Unansehnlichkeit und sein
humorloses Wesen ganz im Schatten des stattlichen und sehr volkstümlichen
Revolutionsmannes Dr. Friedrich Hecker. Mit viel Glück konnte damals
Struve über Säckingen.nach der Schweiz entkommen.
Den Sommer über trieb er von Birsfelden-Basel und von Rheinfelden aus
eifrige Agigation mit Büchern, Aufrufen, Briefwechsel und Planungen für den
Tag X. Seine Parole: „Ist die Ernte erst zu Haus, bricht der Sturm von neuem
aus" erhielt alarmierende Nahrung durch die Nachrichten von Tumulten in
Frankfurt. Dort hatte das Paulsparlament nach Ansicht der hitzigen deutsch-
bewußten Gemüter durch schließliche Anerkennung des Malmöer Waffenstillstandes
die Sache Schleswig-Holsteins und Deutschlands schmählich verraten.
Zu guter Letzt schätzte der republikanische Theoretiker Struve den 21. September
, den Geburtstag der ersten französischen Republik, als ein gutes Vorzeichen
für seinen Aufstandsplan, vor dem führende Persönlichkeiten der
Republikaner, vor allem Weißhaar in Lottstetten und Hecker, der gerade in
diesen Tagen entmutigt nach Amerika emigrierte, vergeblich warnten.
Wie harmlose Fußgänger spazierten Struve und etwa ein Dutzend Ge-
sinnungs- und Tatfreunde am Nachmittag des 21. September aus Basel über
Riehen und Stetten nach Lörrach. Dort war wegen des Markttages und eines
Gastspiels des Zirkus Knie sowieso schon viel Volk beisammen, und die agitatorisch
vorpräparierte Bürgerwehr gab den Rückhalt für den Anfang. Hauptakteure
wurden neben Struve der ehemalige preußische Offizier M. W. Löwenfels
aus Koblenz als „Kommandant des Hauptquartiers" und der junge Karl
Blind, Schriftsteller aus Mannheim, als Zivilkommissar und Schriftführer.
Struve rief feierlich vom Rathaus herunter die Republik aus, bildete mit
Löwenfels und Blind eine provisorische Regierung Deutschlands und ließ die
erste und einzige Nummer des Republikanischen Regierungsblattes mit einigen
Beilagen, Aufrufen und Anweisungen drucken, alle versehen mit der
Parole: Wohlstand. Bildung, Freiheit für alle! Was weiter in Lörrach regiert
wurde: Absetzung der volksfeindlichen Beamten, Entfernung der großherzoglichen
Hoheitszeichen, Aussteckimg roter Fahnen, die teils noch mit den deutschen
Farben Schwarz-Rot-Gold bebändert waren, Beschlagnahme der öffentlichen
Kassen, Befehle und Kommandos in die umliegenden Ortschaften, stürmen
zu lassen und, bei Androhung von Geldbußen oder standrechtlicher Behandlung
, die waffenfähige Mannschaft von 18 bis 40 Jahren in Marsch zu
setzen —, all das wiederholte sich auf den weiteren Stationen. Es sei auch nur
andeutungsweise gesprochen von dem üblen Kleinkram der alkoholischen
Ausschreitungen, von Bedrohung und Plünderung. Die spätere Gerichtsverhandlung
wimmelt von Zeugenaussagen zu diesem Punkt der Anklage.
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