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gung durch Erik Wolf ist die hier allerdings zu einer Vermutung abgeschwächte
Behauptung wiederzufinden, daß Zasius auf Reuchlins Seite gestanden habe:
„Im Reuchlinstreit und in der Ablehnung des Ordenswesens stand Zasius auf
Luthers Seite. In Briefen hat er über die Sittenverderbnis der Mönche geklagt.
Wohl mit aus diesem Grund erscheint er in den Epistolae obscurorum virorum
als Freund Reuchlins und wird von dem Magister Schlauraff als Scotist gebrandmarkt
, der vom Doctor Sanctus [Thomas von Aquino] nichts halte"0.
Erik Wolf ist als einzigem unter den Zasius-Biographen aufgefallen, daß Zasius
„als Scotist gebrandmarkt wird". Obwohl er dies hervorhebungswert findet, ist
er in eine nähere Prüfung nicht eingetreten. Die Notwendigkeit einer solchen
drängt sich jedoch von selbst auf, wenn man den Hintergrund von Zasius' Erwähnung
in den Dunkelmännerbriefen aufzuhellen versuchen möchte.
Zu diesem Zweck ist als erste die Frage zu beantworten, ob und welche
persönlichen Beziehungen zwischen den beiden bedeutenden Zeitgenossen bestanden
. Daß sie einander je begegnet sind, läßt sich aus den zeitgenössischen
Quellen, namentlich aus den erhaltenen und im Druck zugänglichen Briefsammlungen
nicht entnehmen. Kann man überhaupt von einem Verhältnis des
Zasius zu Reuchlin oder umgekehrt sprechen? Man wird wohl behaupten dürfen
, daß sie voneinander sicherlich gehört und gewußt haben, obwohl sich eine
persönliche Berührung nicht nachweisen läßt. Von Reuchlin ist mir reine Bezugnahme
auf Zasius bekannt geworden. Schon Geiger stellte fest: .Reuchlin
war Jurist ... Es ist nicht bekannt, wieweit er den Forschungen und Arbeiten
seines jüngeren, ihm befreundeten Zeitgenossen Ulrich Zasius Teilnahme und
Beifall schenkte"7. Für die behauptete Freundschaft mit Zasius hat Geiger im
ganzen Verlauf seiner Darstellung des Lebens und Wirkens Reuchlins keinerlei
unmittelbaren Beweis beigebracht. Als solchen glaube ich insbesondere zwei
Umstände nicht betrachten zu können, auf die Geiger die Aufmerksamkeit
gelenkt hat.
Geiger berichtet: „Hieronymus Baidung, Professor der Theologie, ein Freund
des berühmten Rechtsgelehrten Zasius, ein angesehener Mann, auch sonst mit
dem Kaiser in naher geschäftlicher Beziehung stehend, wurde später ein Gönner
Reuchlins"8. Auf diese „spätere" Sinneswandlung Baidungs, den Zasius nachmals
als „vetus amicus" bezeichnete, kann aus einem Brief des Brixener Dompropstes
Sebastianus Sperantius vom 22. Mai 1513 an Reuchlin geschlossen
werden, in welchem er letzterem namens des Baidung Unterstützung in seiner
Angelegenheit in Aussicht stellt9. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß
sich der gleiche Baidung, der zu einer vom Kaiser im Jahre 1510 ernannten
Kommission gehörte, welche sich über die Frage der Beschlagnahme und Vernichtung
der hebräischen Bücher äußern sollte, in dem von ihm mitunterzeichneten
Gutachten im Gegensatz zu Reuchlin die Wegnahme und Vernichtung
aller Bücher mit Ausnahme der Bibel als ein göttliches, löbliches, dem christlichen
Glauben und auch den Juden nutzbringendes Werk bezeichnete10. Nir-
o E r i k Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 3. Aufl., Tübingen 1951, S. 78.
7 Geiger, Johann Reuchlin, sein Leben und seine Werke, Leipzig 1871, S. 62. Unter Zasius' „vertrauten
Freunden" ist Reuchlin erstmals erwähnt bei Heinrich August Erhard, Geschichte
des Wiederaufblühens wissenschaftlicher Bildung, vornehmlich in Teutschland bis zum Anfange der
Reformation, III, Magdeburg 1832, S. 482.
8 Geiger, Reuchlin, S. 238. Uber Hieronymus Baidung siehe S t i n t z i n g , Zasius, S. 61, 180 f., 319;
Böcking, Suppl., II, S. 303 f.; auch folgende Anmerkung.
9 Geiger, Johann Reuchlins Briefwechsel (Bibliothek des Litterarisdien Vereins in Stuttgart,
Bd. CXXVI), Tübingen 1875, Nr. 160, S. 186 f. mit Anm. 1, 2.
10 Das Gutachten ist abgedruckt bei Böcking, Suppl., I, S. 104—107.
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