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wirklich den Tatsachen? Sind es nicht lauter rhetorische Übertreibungen, die
nur wenige des Lateins einigermaßen kundige Hörer und Eingeweihte haben
durchschauen können? Was wird wohl der schlichte Bürgersmann von den
Halb- und Viertelswahrheiten des großen Redners gedacht haben, wenn der
in einem Atemzuge von „Reichstagen" (in der Mehrzahl) sprach - - jedermann
wußte doch, daß es nur einen Reichstag zu Freiburg gegeben hat (1498)! Mußte
es nicht in den Ohren der kleinen Bürger wie eine versteckte Bosheit klingen,
wenn der gelehrte Doctor mit süffisanter Miene den „Nutzen" der Reichstage
pries - - welchem Zuhörer wäre da nicht der Ärger eingefallen, den man 1511
und 1515 gehabt hatte, als die beiden damals ausgeschriebenen Tage nicht zustande
gekommen waren? Hatten sie nicht alle die bei solchen Gelegenheiten
unnötig gemachten Aufwendungen und die dafür versprochene, aber niemals
ausbezahlte Entschädigung noch in frischer, bitterer Erinnerung?22
Nun läge es nahe, auch den zitierten Satz über die Einrichtung und Bestätigung
des Stadtrechts durch Maximilian gleichfalls zu den rhetorischen
Übertreibungen des Redners zu rechnen. Aber solch krassen Widerspruch gegen
die Wahrheit hat sich unser humanistischer Lobredner nicht geleistet! Man
bedenke: die Rede ist am 7. Februar 1519, also kaum vier Wochen nach
Maximilians Tod, gehalten - - wir werden daraus den Schluß ziehen dürfen,
daß in diesem Augenblick Zasius es nicht besser gewußt hat: er war damals
zweifellos der Meinung, daß Maximilian „herzlich und bereitwillig besorgt
war", daß das Neue Stadtrecht „eingerichtet, ergänzt, aufgestellt und bestätigt
werde". Man darf sich daran nicht stören, daß der betreffenden Stelle im
lateinischen Text tatsächlich etwas Irreales anzuhaften scheint: zweifellos hat
der Redner sagen wollen, „das Stadtrecht verdanken wir dem allergnädigsten
Interesse des Verstorbenen, es ist von ihm bestätigt worden" — und so
nur kann er von seinen Hörern verstanden worden sein.
Wie sollen wir uns nun des Redners rätselhafte Behauptung, die Stadt
verdanke die „Bestätigung" ihres neuen Stadtrechts dem verstorbenen Kaiser,
erklären? Daß die Bürger über die damals noch ergebnislosen Verhandlungen
mit den Regierungen in Ensisheim und in Innsbruck nichts gewußt haben,
braucht nicht weiter wunder zu nehmen — aber daß dem Festredner Zasius
nichts davon bekannt gewesen sein soll? Zasius, der doch seit den Zeiten Josef
Anton R i e g g e r s23 immer als Verfasser der Vorrede gegolten hat?
Widersprüche zwischen den Angaben in den
Vorredeentwürfe n und in der Leichenrede
Nein!: der Konzipient der Vorreden in ihren verschiedenen Fassungen (wie
wir sie oben kennengelernt haben) kann nicht derselbe Mann gewesen sein,
der die Leichenrede gehalten hat - - denn daß der „Leichenredner" nichts von
den Streichungen des „Vorredners" gewußt hat, der um dieselbe Zeit die
„Verwilligung und Confirmation" der kaiserlichen Majestät in der Vorrede
getilgt haben muß, dürfte auf der flachen Hand liegen: es sei denn, wir würden
unserm Dr. Zäsi eine grobe Verdrehung der Wahrheit zutrauen, weit Schlimme-
22 Vgl. Miss. 10, 145' (Bürgermeister und Rat an K. Majestät, 1518 Okt. 5) und Miss. 10, 146 (dieselben an
den k. Sdiatzmeister Jakob Villinger, 1518 Okt. 5), Schreiber, Gesch. 3 (185?), 214.
23 Udalrici Zasii epistolae ed. Jos. Ant. Riegger (1774), p. (53): „Pro(o)emium, quod certe Zäsium auctorem
habet.
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