http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1962/0083
Schmidt teilt uns aus dem verschollenen Schreiben mit, was ihn am meisten
interessiert: die „Erledigung in der Stadtrechtsfrage" war beim Tod des Kaisers
Maximilian noch nicht erfolgt! - - Und zwischen dem 14. und dem 16. Januar
1518 hätte doch die Abhör in Ensisheim stattfinden sollen, wie wir oben gesehen
haben! Ein Jahr war inzwischen vergangen25 - - der Leser errät, daß schon
ans diesem Grunde die vermißte Eingabe Zäsis von einigem Interesse wäre.
2. Wir wollen daher dieses verschollene „Gesuch" Zäsis unter die kritische
Lupe nehmen. Die Mitteilungen Richard Schmidts über seinen Inhalt geben
uns Anlaß zu folgenden Überlegungen:
Daß das Schriftstück lateinisch abgefaßt sein soll, paßt sehr gut zu dem,
was wir von den Enkeln Kaiser Maximilians wissen. Sie waren Fremdlinge
im Reich sowie in den althabsburgischen Erbländern. Der ältere von beiden,
Karl, ward geboren zu Gent am 24. Februar 1500 und ist nach Herkunft,
Sprache und Erziehung weder Spanier noch Deutscher, sondern Burgunder.
Der um drei Jahre jüngere Ferdinand dagegen war in Spanien geboren und ist
(wie wir wissen) dort aufgewachsen und zum echten Spanier erzogen worden.
Das Vlämische war Karls, das Spanische Ferdinands Muttersprache. Diese Tatsache
wurde auch damals schon als so ungeheuerlich empfunden, daß zum
Beispiel der ältere Bruder Karl in seinen Wahlkapitulationen den Kurfürsten
geradezu versprechen mußte, Reichsämter nur mit Deutschen zu besetzen,
amtlich nur die deutsche und die lateinische Sprache zu gebrauchen und Reichsversammlungen
nur innerhalb der deutschen Grenzen abzuhalten. Zum ersten
Male hat man sich also am Oberrhein in der erbärmlichen Lage befunden, den
von allen erwarteten Landesherrn nicht in der Landessprache anreden zu
können. All das spricht für die wirkliche Existenz des vermißten Schriftstücks
- - unter den oben geschilderten Umständen lag es bei einer Petition an
den neuen Landesherrn allerdings am nächsten, das Lateinische zu wählen:
zumal für den Humanisten Zasius!
3. Aber ist es auch wirklich Ulrich Zasius, der das vielgenannte Aktenstück
abgefaßt hat? Nach Richard Schmidts Mitteilung20 ist der Entwurf nicht
nur von Zasius eigenhändig geschrieben, - - sondern nach seiner Auffassung
soll es sich um eine „persönliche" Eingabe von ihm handeln. Da fragt man
sich doch unwillkürlich: wie kommt ein persönliches Schreiben an den Landesherr
n in die städtische Registratur?
Entwürfe zu persönlichen Schriftstücken oder zu Privatbriefen Ulrich
Zäsis finden sich in der Regel nicht im städtischen Archiv. Alle derartigen
Seh reihen nehmen ihren Weg nicht durch die Ratskanzlei - - in der Regel
wird man sie in der Universitätsbibliothek Basel oder genauer im Nachlaß
25 Aus verschiedenen Schreiben der Stadt nadi Ensisheim läßt sidi ersehen, daß ihr Sfadtredit am 25. Januar
und am 4. Februar 1518 nodi nidit durdiberaien mar. Am 30. April desselben Jahres wird von Bürgermeister
und Rat das Sladtredit gar nidit ermähnt. Dr. Hieronymus Baidung ist währenddessen nach
Innsbruck übergesiedelt, und am 8. November 1518 sdireiben Bürgermeister und Rat an ihn, diesmal an
seine neue Adresse in Innsbruck:
„. .. auf die neusten abred pitten wir euch mit sonderm vlyß, ir weit unser new stattrecht furder-
l"h vollenden und by disem unserm botten heraufischicken, damit wir darinne volfaren konen. Ob ir oucli
meinten, das nodt wer, vorhin mit unsern gnedigen hern vom regimendt zu Ynnsprugg ichts darunder
abzureden, das megt ouch thün. Und furdern die sach dermassen truwlich als wir euch getrewen, dann
der verzug mag auß Ursachen, die ir gehört haben, gantz beschwerlich sein . . ."
Nadi diesem Brief sieht es so aus, als ob der Stadt im Augenblick mehr an der Hilfe Dr. Baidungs
gelegen märe, ah an den Beratungen bei der Regierung in Innsbruck! (Und mar es ein Jahr früher in
Ensisheim nidit genau dasselbe, ehe Dr. Baidung umgezogen mar?) An einer Mitarbeit Dr. Baidungs bei
der Sdilußredaktion des Neuen Stadtredits wird (gegen Knodies abmeidiende Meinung p. 39 f. 41) danach
nidit mehr zu zweifeln sei";;. Sehr midilig ist audi der Brief, den Bürgermeister und Rat am 5. Januar
1j19, also unmittelbar vor Maximilians Tod, an Dr. Hieronymus Baidung gesdirieben haben, worin sogar
trma gun gen hinsiditlidi einer „confirmation von bcbstlicher h e i 1 i g k e i t" ermähnt werden!
26 R. Sdunidt, l. c. S. 66 A 16.
b Schau-ins-Land
81
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1962/0083