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feier sich geäußert haben? Hätte er es vermutlich in der Weise oder
ähnlich getan, wie unser Lied es tut? Mit solchen oder verwandten Worten
und Wortbildern? Mit solchen oder ähnlichen Gedankenabläufen? Und all
dies in der hochdeutschen Schriftsprache und nicht im alemannischen Idiom,
das in den nächsten Jahren zum bevorzugten Werkzeug von Hebels poetischer
Aussage werden sollte? Und in gerade dieser Form?
Zuerst ein Blick auf die Form unseres Liedes. Jede der 17 Strophen besteht
aus je zwei längeren und zwei kürzeren Zeilen, die abwechselnd gesetzt sind.
Die längere Zeile (a) weist jeweils fünf Jamben als Versfüße auf, die kürzere
Zeile (b) deren drei. Der längeren Zeile ist immer eine Senkungssilbe angehängt.
Die längeren Zeilen reimen sich, die kürzeren ebenfalls. Da die längeren
Zeilen mit einer Senkung enden, ergibt sich ein sog. weiblicher Endreim; die
mit der Hebung endenden kürzeren Zeilen haben männlichen Reim. Da längere
und kürzere Zeilen sich abwechseln, ergibt sich als Reinischema a b a b.
Im ganzen also eine Strophenform, die bei Hebel in den gereimten alemannischen
Gedichten gar nicht und in den hochdeutschen nur in annähernder
Variation vorkommt. Die gereimten alemannischen Gedichte haben stets
männlichen Reim, der weibliche, zweisilbige Reim ist Hebel in seinen hochdeutschen
Gedichten aber durchaus geläufig. Vor allem in seinen Rätseln zeigt
sich Hebel geradezu als Meister in der Abwandlung poetischer Formen. Dort,
in den Rätseln, findet sich denn auch eines, das in den ersten vier Verszeilen
der Strophe unseres Friedensliedes fast gleicht, gleicht nämlich bis auf den
Unterschied, daß die zweite kürzere Zeile nur zwei Jamben aufweist statt
drei wie das Friedenslied5. Der metrische Bau des ersten Rätselteiles ist so:
Hast du einmal dich etwas unter wunden,
o lieber Mann,
Daneben gibt es aber auch ein siebenstrophiges hochdeutsches Lied Hebels,
das ebenfalls ähnlichen Strophenbau hat wie unser Friedenslied. Es führt den
Titel: Grenadierlied6. Gleichheit zur Friedensliedstrophe besteht darin, daß
in jeder Strophe zweimal eine kürzere Zeile aus jeweils drei Jamben vorkommt
; es unterscheidet sich vom Friedenslied dadurch, daß die längeren
Zeilen vier reine Jamben aufweisen und somit nur männlicher Reim vorliegt.
Thematisch ist es mit dem Friedenslied übrigens insofern verwandt, daß es
liedhaft zu politischen und kriegerischen Vorgängen Stellung nimmt, — nämlich
zu der Erhebung der Tiroler vom Jahre 1809.
Mit dieser Beobachtung haben wir bereits den Bereich des Formalen verlassen
und sind zu dem der Thematik übergegangen. Zur Thematik des Friedensliedes
und ihrer Möglichkeit bei Hebel bzw. zu dessen Geneigtheit
zur Behandlung des Friedensmotivs wäre zu sagen: Gemeint ist der
Friede von Luneville, geschlossen am 9. Februar 1801; er besiegelte den
Untergang des alten deutschen Reiches, inaugurierte die Unterwerfung der
deutschen Fürsten besonders der rheinnahen — unter Frankreich und
bildete die Voraussetzungen für die Gebietsverschiebungen des Reichsdeputa-
tionshauptschlusses von 1803. Für die rechtsrheinischen Oberrheinlande, für
das spätere Baden also, beendete der Friede von Luneville nach den Wirren
5 J. P. Hebels Werke, hrsg. v. W. Zentner, Bd. I Karlsruhe 1923 S. 325 Nr. 28; diese Ausgabe im
Folgenden zitiert als ZW . . .
6 ZW I S. 275.
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