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dem Graphologen reiches Material zur psychologischen Deutung des Zeitalters
Ludwigs XIV. vermitteln könnten, auch der scheinbar gleichmäßigen Schrift der
Kopisten, die die Wörter im kurrenten Zag verknüpft und die Silbentrennung
mitten im Wort vollzieht, von der Palisadenschrift eines Freiburger Kommandanten
ganz zu schweigen. Chiffrierte Teile von Briefen sind mitunter uur in
schwer lesbarer und abgekürzter Form in einen Klartext übersetzt, die Entscheidungen
des Ministers, in knappen Glossen auf dem eingegangenen Brief
vermerkt, gleichen oft einem Stacheldraht vermutbarer Buchstaben. Der Beitrag
des Verfassers ist daher nicht frei von Irrtümern der sprachlichen und
sachlichen Interpretation, aber vor allem der Deutung schwieriger Schriften.
Die vielen Erwähnungen, die Freiburg in zahlreichen Schriftstücken der
rund 30 Folianten des Archivs des Kriegsministeriums findet, gleichen Mosaik-
steinchen, sie beziehen sich zum größten Teil auf Detailfragen, deren Wichtigkeitsgrad
gering zu sein scheint. Über manche Jahre und Gegenstände ist viel,
über andere wenig oder kein Material vorhanden. Vieles Wissenswerte bleibt
unerwähnt, oder seine Kenntnis wird vorausgesetzt. Diese Mosaikstücke bedürfen
einer sinnvollen Zusammenfügung, aber selbst dieses zusammengesetzte
Werk bleibt Fragment, nicht zuletzt auch deshalb, weil es der Ergänzung und
Korrektur durch andere Quellen bedarf. Der Verfasser hat sich bemüht, das
Antiquarische, das Hunderten von zerstreuten Fundstellen anhaftet, in geschichtliche
und sachliche Zusammenhänge umzuformen, aber nur die nachvollziehende
Phantasie des aufmerksamen Lesers vermag dieses Unvollkommene
zum Bild einer Zeit zu verwandeln, die uns nah und fern zugleich ist,
fern durch die zeitliche Entfernung und die Andersartigkeit der sozialen Verhältnisse
, nah durch die räumliche Nähe und den Eintritt einer bereits modern
gestalteten Verwaltung in das Leben einer Stadt, die ihre Insassen, wie der
Körper die Zellen, wechselt, aber ihre Identität durch die Jahrhunderte
bewahrt hat.
Der geschichtliche Rahmen
Im Jahre 1643 wird Ludwig XIV., noch minderjährig und der Regentschaft
seiner Mutter unterstellt, König von Frankreich; 1661, nach dem Tode Maza-
rins, übernimmt er selbst die Regierung. Befähigte Berater stehen ihm zur
Seite: Durch drei Generationen hindurch dienen Mitglieder derselben Familie:
Le Tellier, der 1677 Kanzler wird, sein Sohn Louvois und sein Enkel Bar-
bezieux, als Staatssekretäre des Krieges, sie üben die Funktionen von Ministern
aus. Colbert wirkt als Generalkontrolleur der Finanzen, ihm folgt dann
1683 Le Peletier, 1689 Louis Phelipeaux Comte de Pontchartrain, andere Mitglieder
der Familie Colbert verwalten wichtige Staatsämter. In den Händen
der im Staatsdienst konkurrierenden Familien Le Tellier und Colbert sammeln
sich ungeheuere Vermögen an. die venezianischen Gesandten, die den Wert des
Geldes kennen, schätzen das Jahreseinkommen der Familie Le Tellier auf
400000, das Michel de Telliers auf 800000 Dukaten. Diese Vermögen sollen
erworben sein durch „ehrsame Ökonomie auf Grund der Gunst und der
Bewilligung des Königs1".
1 Louis Andre: Michel Le Tellier et Louvois, Paris 1942.
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