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In Wildbad besucht er den Prinzen Ludwig von Baden, der dort „Bäder
und Wasser" gebraucht, und der, als sein Gegner, ihm viele Freundschaft
bezeugt hatte. Der Prinz spricht mit ihm frei über den Zustand des Wiener
Hofs. Sein hochherziger Charakter gestatte ihm nicht eine Verbindung mit
den Ministern, sein Verhältnis zum Grafen Kinsky, der dem König zunächst-
siehe, sei schlecht, er verabscheue die Bösartigkeit der Höflinge. Villars, der
einen Tag in Wildbad verbringt, rühmt die Frau des Prinzen „wegen ihrer
Tugend und ihrer Verdienste, mit der sich eine große Schönheit verbindet11".
Wenige Jahre später werden die beiden Gesprächspartner in der Schlacht bei
Friedlingen an der Spitze feindlicher Armeen sich erneut gegenüberstehen.
Fn der Geschichte Freiburgs taucht Villars kometenhaft auf und verschwindet
. Er überprüft die Standfestigkeit der Festung und hinterläßt zwei
bemerkenswerte Memoranden. Sein Auftritt auf der Bühne Freiburgs ist nur
eine kurze und unbedeutende Episode in einem reich bewegten Leben, das
im Kriegswesen, in der Politik und Diplomatie von Erfolg zu Erfolg führt.
Begabung und günstige Umstände, vor allem auch die Gunst des Königs,
haben ihm eine glänzende Laufbahn eröffnet und gesichert.
Um so mehr erstaunt es, das Porträt zu betrachten, das Saint-Simon von
Villars, dem Günstling des Glücks, entwirft12. Wohl erkennt er die Brillanz
seiner Gaben an, aber er zeichnet ihn als einen ganz auf sich selbst bezogenen,
von Ehrgeiz und Ruhmsucht verzehrten, von Habsucht beherrschten Menschen,
unfähig zu Liebe, Dankbarkeit und zum Dienen, dessen ganzes Leben dem
Kult seiner Person gewidmet war. Eine große Aktivität, eine Kühnheit ohnegleichen
, ein brillantes Auftreten verbinden sich mit Eigenschaften, die ihn
erniedrigen. Seine Memoiren, die unklugerweise noch zu Lebzeiten der
Augenzeugen veröffentlicht wurden, werden als konfus und lügenhaft bezeichnet
; sie dienen der Schaffung der Gloriole, mit der er sich selbst zu umgeben
bemüht. Ob dieses Porträt Saint-Simons das Spiegelbild einer Persönlichkeit
darstellt, die vier Jahre hindurch Freiburgs Gouverneur war, oder
das verzerrte Bild des Hohlspiegels wiedergibt, das alle Züge des Porträts
enthält, doch in gestörten Proportionen, wer möchte dies heute entscheiden?
Den Leser berührt es wohltuend, daß ein humaner Zug die Memoiren
Villars durchdringt und seinen an kriegerischen Ereignissen so reichen Lebensweg
begleitet. Er verabscheut Grausamkeit und rettet, „von Natur human",
einige der von Crequis Armee in Brand gesteckten Dörfer des Breisgaus, er
verurteilt mit scharfen Worten Melacs Verwüstungen in der Pfalz: „Melac
war schändlich, und seine Wut steigerte sich durch die schaurigen Flüche,
mit denen er die Gewohnheit hatte, gemeine Leute zu erschrecken13", und
er kämpft gegen die Partisanen der Cevennen als ein „partisan ä la douceur".
Diese Menschlichkeit überstrahlt das vergängliche Feuerwerk seiner Selbst-
bespiegelung.
Wenn die Geschichtsschreiber, zu denen Saint-Simon zählt, Wächter des
Ablaufs der Ereignisse und des Verhaltens ihrer Akteure sind, wer soll die
Wächter bewachen? Wer soll die Irrtümer derer aufspüren, die sich bemühten
, die Irrtümer und das Versagen anderer nicht unentdeckt zu lassen?
11 Villars, Memoires S. 297.
12 Saint-Simon, Memoires par Laurent, Paris 1818 II S. 180.
13 Villars, Memoires 1692 S, 223,
BT
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