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fälliger Dichtung! wehe dem künftigen Ehepaar wenn die Leuchte etwas bescheint
, was die Binde in Dunkel gehüllt wißen wollte, dafür aber auf himmlische
Wonne, wenn wie bei Ihnen, sie nur verheimlichte Tugenden, nur verborgen
gehaltene Vorzüge des Geistes, nur gesellige Eigenschaften aufzuhellen
hat und mit den sanften Umrißen körperlicher Reitze auf die dauernden
Seligkeiten zwei schöner, in einander sich schwingender und verfliessender
Herzen zur öffentlichen Schau und zum beneideten wechselseitigen Genuße
auszustellen vermag. Verwechsle die sich so geruhe die Hände bietenden
.....34 aber gleich beim ersten zusammentreffen ihre Rolle, setzt Lyäus35
Sohn im Taumel der Liebe, ihren Becher an seinen Mund so rächt sich der Abkomme
Movors36 schnell und verwandelt den hyblischen37 Honig, der ihn füllt,
in sardischen38, der bleibende Bitterkeit auf der Zunge zurückläßt. Aber auch
ohne einen solchen Mißgriff, sind selbst von den glücklichsten Ehen, so höre
ich von den Erfahrensten sagen, nicht alle Widerwärtigkeiten unzertrennlich;
hat ja auch die vollblühenste balsamich duftende Rose ihre Dornen; erträglich
aber sind sie, wenn sie einzig nur das Loos der Menschlichkeit sind, und nicht
eigene Schuld sie herbeigeführt hat. Ist es demnach im Rathschluße der Vorsehung
beschieden auch Ihnen einen Theil davon zuzumeßen, so sey es der
kleinst mögliche, und er diene als Würze nur, um Sie die Süßigkeiten des
Standes in den Sie treten, nun ganz schmecken zu laßen, und überträufle Sie
mit der Fülle der Gaben einer in bleibende Freundschaft übergehenden Liebe.
Noch vieles bliebe mir zu sagen, allein mein verlöschender Span, ein glückliches
Vorbild der nur kurz währenden auf Sie harrenden Unannehmlichkeiten
, so wie die noch hell brennenden Fackeln der langen Dauer Ihres beiderseitigen
Glückes Gewähr sind, erinnert mich abzubrechen, um Ihnen, die
sich hier freudig einfanden, Ihnen Beweise Ihrer Verehrung und Achtung,
Merkmale ihrer lebhaften Theilnahme und Angedenken ihrer auf Hymens
Altar zu legen, Platz zu machen. Mein letztes Wort an Sie, holde Verlobte, sey
also der feierlichste Wunsch, Sie mit dem theuren Geliebten Arm in Arm heute
noch Vestas39 unbefleckteste Priesterin, morgen schon werdende Mutter einer
Ihnen ähnlichen Nachkommenschaft, in jene Gefilde im Geleite so vieler Herzen
, als Freyburg einwohner zählt, entzückt ziehen zu sehen, die glücklicher
als wir darin sind, indem Sie das Kleinod künftig besitzen und selbem sich
schmücken werden, das wir hier verlieren. Lohnt uns ein Thränchen aus
Ihrem Auge, so sey es das kostbarste Unterpfand Ihrers dauernden Wohlwollens
den trauernden Rückgebliebenen
Ich sprachs Enzenberg
33 Mit Efeu und Weinlaub umwundener Stab des Dionysos..
34 Nicht verständlicher Satz.
35 Lyäus (Sorgenloser) = Dionysos, Beiname des Bacchus als Gott des Weines, Rausches („Zungen-
löser"). Ein Sohn des Lyäus ist uns nicht bekannt.
36 Wohl verschrieben für Mavors = Mars.
37 hyblisch, Hybla: Name dreier griechischer Städte auf Sizilien am Fuße des Ätna: Hybla Geleatis,
Hybla bei Megara und Hybla Heräa.
38 nach Sardes, der Hauptstadt von Lydien in Kleinasien. — Uber die Güte des hyblischen und
sardischen Honigs findet sich selbst in entlegener Literatur, wie z. B. bei J. Ph. Glock: Die Sym
bolik der Biene und ihrer Produkte in Sage, Dichtung, Kultus, Kunst und Bräuchen der Völker,
18912 nichts.
38 Vesta — italische Göttin des Herdfeuers und Hüterin des Staatsherdes am Fuße des Palatin. -
Die Rede verrät eine intime Kenntnis der griechisch-römischen Mythologie. Enzenberg beherrschte
auch die lateinische Sprache vollendet. Noch einige Stunden vor seinem Tode (24. 7. 1821) führte
er mit seinem Arzt einen Disput in lateinischer Sprache über die Zusammensetzung einer Medizin:
Berner, Die beiden Enzenberg, aaO. S. 25.
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