http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1972/0178
mals drei Felsenbeinpyramiden oder ein sonstiges überzähliges Knochenfragment
als Zeichen einer Doppelbestattung nachgewiesen werden. Auffallend
war der besonders große porus acusticus internus des Grabes 22, der
möglicherweise auf ein Acusticusneurinom bei dem juvenilen oder adulten
Mann zurückgeführt werden könnte. In 12 der 25 Gräber fanden sich Teile
des Unter- und Oberkiefers, Zähne oder Zahnteile jedoch nur in 4 Fällen und
bei den Streufunden. Der dens axis war im Gegensatz zur Häufigkeit auf
anderen Brandgräberfeldern nur zweimal erhalten, Teile des Atlas hingegen
in 9 Gräbern und bei Streufunden. Es fiel auf, daß bestimmte Knochen und
Knochenfragmente besonders häufig auftraten. Am häufigsten sind in Schallstadt
Teile der Wirbelsäule erhalten geblieben, wohl aufgrund der großen
Zahl und der relativen Robustizität der Wirbelkörper. Mit drei Ausnahmen
fanden sich Wirbelkörperfragmente in allen Gräbern. Felsenbeinpyramide,
Patella und Trochlea humeri gehörten zu den am häufigsten vertretenen
Einzelknochen.
Der Knochen des Menschen besteht in einem bestimmten Verhältnis aus
kristallinem und amorphem Calciumphosphat. Die Kristallgröße ändert sich
im Laufe des Lebens. Die größere Brüchigkeit im höheren Lebensalter beruht
teilweise auf den größeren kristallinen Grenzflächen. Kristallines Calciumphosphat
ist wasserlöslich. Bei der Verbrennung entsteht eine unlösliche
amorphe Apatitform, die gegen Feuchtigkeit und chemische Bodeneinflüsse
sehr widerstandsfähig ist. Nach Hitzeeinwirkung von 900° C zeigt das Beugungsdiagramm
reines Hydroxylapatit. Der Erhaltungszustand verbrannter
Knochen ist daher im allgemeinen gut. Das Feuer wirkt konservierend.
Die Urne bietet einen zusätzlichen Schutz gegen Feuchtigkeit und chemische
Aggression. Bei der Leichenverbrennung in frühgeschichtlicher Zeit betrugen
die Temperaturen wahrscheinlich zwischen 400 und 600° C, so daß hauptsächlich
die Verbrennungsgrade 2 und 3 nach Chochol (vollkommene bis kreidige
Verbrennung)53 vorliegen und nur ein kleiner Prozentsatz der Knochen den
Verbrennungsgrad 1 zeigt (kreidige Verbrennung, Ausglühen über 600° C).
Die Farbe der Knochenbruchstücke ist im wesentlichen vom Verbrennungsgrad
, d. h. von der Ü2-Zufuhr abhängig. Unter 600° C erscheinen die
Knochenfragmente zunächst schwarz, dann blaugrau, indigoblau, licht- bis
dunkelbraun, schließlich gelb (Abb. 10). Über 600° C verbrennt der Knochen
weiß, wird verformt und deformiert. Bei höherer Hitzeeinwirkung kommt
es zur Splitterung und Torsion, schließlich zur Vitrification, die dem Knochenfragment
eine porzellanartige Konsistenz und ein glasartiges Aussehen
verleiht. Über 1200° C schmilzt der Knochen. Modellversuche klärten die Entstehung
der Formveränderungen weitgehend auf, brachten jedoch noch keine
methodisch verwertbaren Ergebnisse über den Grad der Schrumpfung. Chr.
Müller54 berechnete die Schrumpfung an 600 verbrannten Speichen und fand
bei der Länge nur eine Verringerung von 1,4 °/o. Dijkstra55 gibt aufgrund
seiner Versuche eine Knochenschrumpfung von 0,7 — 1,0 °/o bei Umständen an,
die frühgeschichtlichen Verbrennungen nahekommen. Einzelne, auffallend
große Einzelknochen, z. B. die Patella aus Grab 3, Urne 2, zeigen, daß es unter
der römerzeitlichen Bevölkerung von Schallstadt sehr wahrscheinlich große
und hochwüchsige Menschen gegeben hat, wie auch die wenigen gleichzeitigen
Skelettfunde aus anderen Gebieten Galliens annehmen lassen56.
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