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iuris canonici zeigen, daß er ein juristisches Studium betrieben hat. Plato wird von
ihm als heiliger Meister verehrt. Den Geschichtschroniken des Mittelalters, die
von Legenden umrahmt sind, schenkt er allerdings ein unkritisches Vertrauen.
Seine Phantasie, von astrologischen Vorstellungen geleitet, füllt die Lücken der
überkommenen Geschichtsklitterung.
Zu den äußeren Übereinstimmungen im Leben des OR's und Stünzels scheint
eine innere Entsprechung der Gesinnung und ihrer allmählichen Wandlung hinzuzukommen
. Stünzel hat sich auf den Reichstagen zu Worms und Lindau in den
Fragen der Reichsreform auf die Seite des Kurzerzkanzlers Berthold von Henneberg
gestellt, der im Gegensatz zu den Vorstellungen des Königs eine stärkere Beteiligung
der Reichsstände am Reichsregiment wünschte. Im Jahre 1500 wurde
Stünzel, wenn auch in ehrenvoller Weise, von König Maximilian als Hofkanzler
entlassen. Wenn mit dem Meinungsstreit über das Reichsregiment eine Entfremdung
, mit der Entlassung eine Kaltstellung Stünzels verbunden war, so könnte
diese Änderung der Einstellung zum König die Entfremdung und Radikalisierung
gegenüber Maximilian erklären, die aus der Schrift des OR's herauszulesen ist.
Mit Jubel und Überschwang hat er Maximilian als den mille maximus begrüßt,
um ihn schließlich nach Abschluß des Vertrags von Cambrai als eines der drei unreinen
Wesen zu verdammen. Stünzels ungute Erfahrungen, die eine radikale
Änderung seiner Haltung gegenüber dem König zur Folge gehabt haben könnten,
könnten sich daher in der von Jahr zu Jahr fortschreitenden Niederschrift widerspiegeln
.
Den scheinbaren Übereinstimmungen zwischen den Lebensdaten und Entwicklungslinien
Stürtzels und des OR's stehen jedoch Unstimmigkeiten gegenüber, die
eine Autorschaft Stürtzels unwahrscheinlich machen, ja sogar ausschließen. Ein
Vergleich zwischen dem Text des anonymen Autors und Briefen Stürtzels an seinen
Nachfolger als Kanzler zeigt, daß „im Stil und Duktus der Sätze Privatbrief
und milleniaristische Schrift so weit auseinanderliegen, daß ein Vergleich aufs
äußerste erschwert ist".8 Doch mag die Verschiedenheit der Thematik die Verschiedenheit
von Stil und Duktus bedingen. Wortwahl, sprachliche Form, Einflüsse des
landschaftlichen Dialekts bedürften der Nachprüfung, wozu ein angeblich begonnenes
Wörterbuch zur Schrift des OR's beitragen könnte.9 Die Kenntnis der griechischen
Sprache wird dem OR abgesprochen,10 sie darf bei dem Humanisten
Stünzel, der über die Werke des Aristoteles las, vermutet werden. Die zahlreichen
Zitate, die der OR dem Corpus iuris civilis und dem Corpus iuris canonici entnimmt
, mögen aus dem Gedächtnis des Autors geschöpft sein, der vor Jahren juristische
Vorlesungen besucht hatte, aber dem Latinisten Stünzel wären keine
sprachlichen Schnitzer unterlaufen.11
Stürtzels Studiengang in Heidelberg ist belegbar und dokumentiert, die Unterbrechung
durch die Teilnahme am Kreuzzug des Johannes Capistrano und durch
ein Studium an einer italienischen Hochschule ist unwahrscheinlich, da die Marksteine
und Daten des Baccalaureats und Lizentiats feststehen.
Der OR beruft sich zur Rechtfertigung seiner Niederschrift auf den Freiburger
Reichstagsabschied von 149812: wer der wer, der da wist und ertrachten kund, das
nutz und gutt wer der kristenheid, zu enschutten witteren und weisen, desgelichen
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