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des Seelenheils, und sie macht den Betreffenden zum Mitglied der Kirche mitsamt
allen damit verbundenen Pflichten. In der frühen Kirche unterzogen sich ihr deshalb
nur Erwachsene nach einer ausführlichen katechetischen und rituellen Vorbereitung
. Sie mußten diese ausdrücklich begehren. Ferner mußten sie sich auf das
Glaubensbekenntnis verpflichten und in der Lage sein, jederzeit als Christ zu handeln
. Die Kindertaufe wurde erst eingeführt, als sich die Kirche von einer verfolgten
Sekte zur alles umfassenden Staatsreligion wandelte. Infolgedessen konnten
nun auch die Voraussetzungen für den Eintritt in die Kirche abgeändert werden.
Es wurde vorausgesetzt, daß die Eltern die notwendigen Gelöbnisse an Stelle ihrer
Kinder ablegten und daß sie bis zur Firmung stellvertretend für das Kind auch in
religiöser Hinsicht handelten. Zugleich wurde aber auch der Getaufte durch dieses
Sakrament für die volle Mitgliedschaft in der weltlichen Gemeinschaft der Christenheit
qualifiziert. Wenn man - unter welchen Bedingungen auch immer - einmal
ordnungsgemäß getauft worden war, war man gezwungen bis zum Tode oder
bis zur Emigration in nichtchristliche Länder Mitglied der christlichen Gemeinschaft
zu bleiben. Anders zu handeln hätte bedeutet, das Sakrament der Blasphemie
und der Mißachtung preiszugeben.28
Zur Zeit des vierten Konzils von Toledo im Jahre 633 war das kanonische Recht
soweit geklärt, daß die Stellung der Juden im Christentum in klassischer Form
festgelegt schien. Juden sollten demnach nicht zum christlichen Glauben gezwungen
werden, es sei denn, sie wären schon einer gültigen Taufe unterworfen worden
.29 Erwachsene mußten ihrer Taufe frei zustimmen, um dem Sakrament Gültigkeit
zu verschaffen. Das konnte freilich auch so interpretiert werden, daß jede Anwendung
von Zwang in dieser Beziehung erlaubt sei, bis zur Gewalt am Taufstein.
Da die Taufe von Minderjährigen normalerweise nach damaliger Ansicht die Mitwirkung
der Eltern zur Voraussetzung hatte, war allerdings der zwangsweisen
Taufe jüdischer Kinder wirkungsvoll entgegengewirkt. Im 12. Jahrhundert fand
jedoch eine Änderung in der Lehre von der Taufe statt. Jetzt sollte es erlaubt sein,
die Nachkommenschaft von Häretikern ohne Bewilligung der Eltern zu taufen.
Doch wurden auch die Beschlüsse des vierten Konzils von Toledo noch immer wiedergenannt
.30 Im Decretum Gratiani von etwa 1140 werden sie nicht weniger als
40mal herangezogen. Wie im folgenden gezeigt werden soll, beruht die spätere
Diskussion auf einer begrenzten Zahl von Texten, wobei vier Zitate aus dem kanonischen
Recht die erste Stelle einnahmen.31
Zasius schrieb nun seine Abhandlung, um die verschiedenen Aspekte eines konkreten
Rechtsfalles auszuleuchten. Aber dieser ging weit über das hinaus, was sich
dazu aus dem römischen Recht entnehmen ließ, in dem der Jurist sich bestens auskannte
. Deshalb ordnete er sein Material doch noch in die Form der klassischen
Argumentation der Scholastik, nämlich die der quaestioy ein. Doch zeigt die unbeschwerte
Geringschätzung etablierter Doktoren der Kirche, die Feindschaft gegenüber
dem Hergebrachten, die Bereitschaft, sich über die Sprache der päpstlichen
Kanzlei lustig zu machen, wie sehr sich die scholastische Methode unter dem Einfluß
der Humanisten im Anfang des 16. Jahrhunderts bereits verändert hatte.
Zur Begründung seiner These, daß jüdische Kinder tatsächlich ohne Einwilligung
bzw. Befragung der Eltern getauft werden dürften, mußte sich Zasius mit
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