Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1978/0096
nen. Ebensowenig könne der Rechtsgelehrte Paulus jede Frage des bürgerlichen
Rechts bereits entschieden haben. Die Kirche lebe als Hort der Autorität nur fort
bis zur Erfüllung der Zeit. Einige Maßnahmen seien nur für ein bestimmtes Zeitalter
gültig gewesen, genau wie eine Medizin nur bei einer spezifischen Krankheit
wirke. Obwohl Zasius verneinte, daß eine klare gegensätzliche Tradition hinsichtlich
der Taufe existiere, weigerte er sich zuzugeben, daß ein solches Herkommen
die Ausübung legitimer Macht verhindern könne, insbesondere dann, wenn es sich
um das Seelenheil handele.50

Zasius zweites Hauptargument für die Stützung seiner Meinung besagte, daß
der christliche Staat die Vormundschaft über jedes Kind ausübe. Der christliche
Herrscher sei daher verpflichtet nicht nur Mißhandlung minderjähriger Kinder
oder die Vergeudung von deren Vermögen zu verhindern, sondern er habe auch
für eine angemessene Erziehung im Glauben zu sorgen. Dieses Bild von der christlichen
Gemeinschaft inspirierte Zasius auch bei seiner Kodifizierung des Freiburger
Stadtrechts im Jahre 1520: Er sah die Stadt in der Familie begründet. Daher sei
die Erziehung, kontrolliert durch die christlichen Staatsautoritäten, die wichtigste
Pflicht der Einwohner.51 Einen weiteren Niederschlag fand diese Vorstellung im
Adoptionsrecht des neuen Freiburger Gesetzbuches. Zasius pries hier die Adoption
als eine wünschenswerte fromme Praxis, von der bis dahin selten Gebrauch gemacht
worden sei, und er unternahm jede Anstrengung, gute christliche Familien
zu ihrer Anwendung zu ermutigen. Dies erwuchs vermutlich sowohl aus der Stellungnahme
zu dem Freiburger Vorfall von 1504, wie auch aus dem großen und
anhaltenden Interesse des Juristen für die rechte Fürsorge für die Kinder.52

Das von Zasius vertretene zweite Hauptbeweisstück für seine Argumentation,
welches das dem christlichen Staat zustehende Recht der Vormundschaft für alle
Kinder behauptete, verneinte ausdrücklich, daß es nach dem Naturgesetz ein Recht
gäbe, Kinder in einem anderen als dem wahren Glauben zu erziehen. Sowohl das
Argument von der Vormundschaft des Staates über die Kinder wie dasjenige gegen
die bindende Kraft der Tradition der Kirche entsprangen aus einer Vorstellung
von der christlichen Gemeinschaft, die in der damaligen christlichen Welt bereits
ihre Vorläufer hatte. Entworfen war sie von den nominalistischen Scholastikern
, in eine gültige Form gebracht durch Gabriel Biel. In ähnlicher Weise äußerten
sich die christlichen Humanisten des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts.
Einmal angenommen, ließ dieser Gedanke von der wiederbelebten christlichen Gemeinschaft
nur Raum für eine vorübergehende Duldung religiöser Minderheiten.
Die neue christliche Gemeinschaft wollte die Juden evangelisieren, und das Ergebnis
wäre die Vereinigung im Glauben oder die Flucht der Juden gewesen. Die Vorstellung
von der nun vorübergehenden Duldung der religiösen Minderheit der Juden
scheint von Männern wie Erasmus und Luther geteilt worden zu sein.53 Sie
standen damit im Gegensatz zu jenen, die mit Scotus und Northofer der Meinung
waren, daß das ganze jüdische Volk auf einmal getauft und durch Drohung und
Gewalt in der Kirche festgehalten werden solle.

Die hier behandelte Abhandlung des Zasius ist besonders interessant, weil sie
am Vorabend des Reuchlinkonflikts erschien. Es ist an dieser Stelle nicht der
Platz, um die sich daraus entwickelnde lange und verwickelte Kontroverse zu be-

94


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1978/0096