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„grosz werffenn, gethoesz vnnd vngestümer handel"; es läßt sich auch nicht
durch geistliche oder weltliche Personen vertreiben, schlägt vielmehr noch einen
der Erben lahm. Ruhe und Friede kehren in dem Haus erst wieder ein, als ein
„walfarter" bestellt wird, der die Fahrt leistet (Nr. 210). Auch wenn das Gelübde
ohne eigene Schuld nicht erfüllt werden kann, ist der Säumige vor verhängnisvollen
Folgen nicht sicher: Die Pest kommt noch schwerer als vorher über die „Eidbrüchigen4
' (Nr. 92).
Angesichts der schlechten Verkehrs Verhältnisse in Deutschland bis weit ins
19. Jahrhundert hinein, angesichts der auf den Straßen, in Herbergen, auf Fähren
, in Wäldern lauernden Gefahren für Leib, Gesundheit und Vermögen bedeutete
eine Reise nach Thann ein spürbares Opfer für die meisten der in den Mirakelberichten
Erwähnten, auch angesichts der oft gewaltigen Entfernungen: In der
Luftlinie sind Bremen weit über 1000, Danzig über 2000 Kilometer von Thann
entfernt; für die einfache Reise waren also jeweils mindesten ein bzw. zwei Monate
zu veranschlagen. Die Versuchung, einen Vertreter mit der Reise zu betrauen
(z. B. Nr. 212), konnte daher für einen Vermögenden groß sein. Offensichtlich
galt das Stellen eines Ersatzmannes — wie die Lübecker Testamente zeigen,
konnte es auch eine Frau sein — als nicht ganz redlich. Um von vornherein kein
Mißverständnis aufkommen zu lassen, gelobt ein von Feuersbrunst bedrohter
Einwohner aus Heiligenwald bei Danzig ,,mit sinem eignem libe" und mit einem
Opfer nach Thann zu wallen (Nr. 89).
Mancher Pilger vermehrte freiwillig die Strapazen und nahm weitere Lasten
auf sich. Zugunsten ihres Neugeborenen, das eine verwachsene Hand hat, will
eine Mutter jede Nacht eine brennende Kerze opfern und dann die weite Reise
von Lübeck nach Thann mit einem „Opfer", in Wolle gekleidet und barfuß zurücklegen
(Nr. 177). Eine Frau aus Schleswig verspricht, für die Errettung aus
Bewußtlosigkeit nach Thann zu ziehen und um die Kirche des hl. Theobald herumzukriechen
(Nr. 49); ein Vater unternimmt die Fahrt ,,nackendig one alle klei-
der" 23 (Nr. 154). Ein Gefangener gelobt, nach der Befreiung keine Nacht im eigenen
Haus zu bleiben, sondern zunächst den hl. Theobald aufzusuchen (Nr. 115),
ein anderer Gefangener will im Fall seiner glücklichen Befreiung jährlich nach
Thann wallen (immerhin aus Halle/Saale! Nr. 76). Auch die Verpflichtung, Hunderte
von Kilometern den eisernen Ring oder die Armschelle, mit der man gefesselt
war, nach Thann zu tragen, bedeutete eine „gewichtige4 4 Erschwerung der
Pilgerfahrt (Nr. 180).
Die rechtliche Lage konnte sich dann komplizieren, wenn stellvertretend ein
Gelübde geleistet wurde — Eltern etwa für ein krankes Kind gelobten, aber starben
, bevor sie das Versprechen einlösen konnten. Hier tritt wie selbstverständlich
das Kind in die Verpflichtung ein: Ein so versprochenes Kind kommt acht Jahre
später aus dem Dorf Rushagen im Bistum Kammin nach Thann (Nr. 127). In
einem anderen Fall geloben die Eltern, das Kind werde die Reise ausführen, wenn
es ,,zu sinen tagen" komme (Nr. 26), oder: Eltern aus Treptow in Pommern geloben
zugunsten ihres mit zwei Tagen verstorbenen Kindes (Nr. 18): Wenn es
17 Jahre alt ist, wird es zum hl. Theobald reisen. Wenn nicht, wollen die Eltern
die Fahrt machen. Lange Jahre später kommt ein junger Mann nach Thann; er
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