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berg Tatbestände zugänglich geworden sind, welche der bisherigen Forschung noch
nicht zur Verfügung standen.88 Leider liegen darüber nur Vorberichte vor, so daß
Entscheidungen nur schwer zu treffen sind. Bei der Untersuchung wurden auf ursprünglich
wohl ziemlich versumpftem, später planiertem Grund unter der heutigen
Kirche eine frühere Anlage fast in der Form zu Tage gefördert, wie Karl Gruber sie
vor bald 50 Jahren bereits vermutet hatte.89 (Abb. 5) Bei diesem ältesten Bau handelte
es sich um eine Saalkirche, die im Osten von einer Hauptapsis und zwei Ne-
benabsiden abgeschlossen wurde. Ihre Ausmaße betrugen 33,5 x 14 m. Ihre Mauern
waren später nach ihrer Aufgabe bis auf geringe Reste sorgsam abgebrochen
und entfernt worden. Reste des Fußbodens und der Altäre konnten ebensowenig
entdeckt werden, wie Begräbnisse aus früherer Zeit. Leider haben sich keinerlei Anhaltspunkte
für eine genauere Datierung dieses ältesten Villinger Münsters finden
lassen. Durch das angebliche Gründungsdatum 1119 der Hugschen Chronik verleitet
, setzt der Ausgräber unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Quelle diesen
ersten Münsterbau in die Zeit „bald nach 1120".90 Zweifellos handelt es sich hier
um eine Art von Bauwerk, wie sie schon vor dem 12. Jahrhundert in Südwestdeutschland
nicht selten ist.
Zudem steht es auch in einer gewissen Verwandtschaft zum ersten Freiburger
Münster, obwohl es sich dort um eine sehr viel breitere Anlage handelte, die wahrscheinlich
eine Basilika ohne Querhaus war und deren Mittelchor noch um ein
Chorquadrat nach Osten hinausgeschoben war.91 Trotzdem gehört der Vorläufer
des Freiburger Münsters doch wohl erst in die Mitte des 12. Jahrhunderts. Infolgedessen
könnte auch das erste Villinger Münster in diesen Zeitraum, ja sogar in die
zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts gesetzt werden. Unbeantwortbar ist bisher die
Frage geblieben, warum diese Kirche bereits um 1220 durch einen basilikalen Neubau
ersetzt wurde.92 Denn dieser unterscheidet sich in der Längsausdehnung kaum
von seinem Vorgänger, auch in der Breite ist er nur nach Norden um etwa vier
Meter vergrößert worden. „Anhaltspunkte für die vorzeitige Aufgabe des Baues I
wegen Brand oder Beschädigung fanden sich keine", stellt der Ausgräber Thomas
Keilhack lakonisch fest.93
Die Errichtung einer Filialkirche innerhalb des nunmehrigen Stadtbereichs stellt
naturgemäß für die Frage der Stadtgründung Villingens ein wichtiges Faktum dar.
Da der Typus des Baues I schon in karolingischer Zeit im Südwesten und in der
Schweiz auftritt, ist es sehr bedauerlich, daß der Termin seiner Entstehung in diesem
Fall bisher nicht näher eingegrenzt werden konnte.94 Wenn er jetzt in die Zeit
nach 1120 eingeordnet wird, so beruht dies auch auf der Methodik der Kunstgeschichtsforschung
.95 Ihre Datierungen gehen nämlich beim Fehlen sonstiger Nachrichten
von einer chronologischen und völlig logischen Weiterentwicklung der Bau-
und Schmuckformen aus. Dabei schließt man im allgemeinen aus, daß altertümlich
wirkende Formen in abseitigeren Gebieten sich länger als anderorts gehalten haben
könnten, oder daß gelegentlich auch wieder auf ältere Vorformen zurückgegriffen
worden sein könnte. Nur ausnahmsweise halten Kunsthistoriker so etwas für möglich
. Beispielsweise hat Albert Knöpfli, der hervorragende Kenner der Bau- und
Kunstformen in Süddeutschland und der Schweiz, vor einiger Zeit ganz allgemein
festgestellt: „Die räumliche Organisation eines Gotteshauses bedient sich oft ein-
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