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fachster, weder zeitlich noch örtlich gebundener Elementarformen".96 Infolgedessen
erscheint es nicht ausgeschlossen, daß der Bau I des Villinger Münsters noch in
die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts gehören könnte. Dabei ist ferner zu bedenken
, daß die Erfordernisse der Seelsorge in dieser Zeit hier anders waren als etwa in
Freiburg. Denn in Villingen war mit Sicherheit eine Pfarrkirche bereits damals im
älteren Dorf östlich der Brigach vorhanden, während sie für die junge Stadt Freiburg
— soweit wir wissen — zunächst gefehlt haben dürfte. Wenn man sich vor
Augen stellt, welche Entfernungen manche Pfarrkinder zum pflichtgemäßen Besuch
ihrer zuständigen Pfarrkirche oft zurücklegen mußten, dann ist die Distanz
zwischen der Stadt und der in der Altstadt gelegenen Pfarrkirche St. Marien, die im
Durchschnitt unter 1 Vi km liegt, sehr gering.97 Viele Städte im deutschen Südwesten
verzichteten sogar auf eigene städtische Kirchen, wenn die Pfarrkirche außerhalb
der Befestigungen geblieben war.98 Sollte die Einwohnerzahl der Gründungsstadt
Villingen innerhalb kurzer Zeit wirklich schon so gewachsen sein, daß man eine
eigene Kirche ohne Pfarrechte benötigte?
Für diejenigen, welche sich mit einem späten Ansatz des Münsters I in Villingen
nicht abfinden können oder wollen, sei jedoch noch eine weitere, freilich ebenfalls
hypothetische Erklärung angeboten. Sie hat von der erstmals von mir ausgesprochenen
, dann von Meckseper übernommenen Erkenntnis auszugehen, daß im Plan
der Stadt wenigstens zwei Phasen der Stadtentstehung erkennbar sind.99 Meckseper
ist darüber sogar noch einen Schritt insofern hinausgegangen, als er in der Bicken-/
Rietstraße die zuerst entstandene Marktstraße sehen möchte, an die die weitere Entwicklung
angeknüpft haben soll.100 Da die Achse des Münsters parallel zu diesem
Straßenzug verläuft, möchte er die Errichtung dieses Bauwerks in Zusammenhang
mit diesem von ihm vermuteten zweiten Markt setzen.101 Natürlich ist auch diese
Annahme schwer zu beweisen. Selbst Grabungen dürften hier weiterführende Ergebnisse
kaum erbringen. Doch könnte man zu ihrer Stützung auf das zurückgreifen
, was bereits um 1514 von dem Freiburger Chronisten Sattler hinsichtlich Villin-
gens behauptet worden ist. Erinnern wir uns daher, daß dieser die Frage offen gelassen
hatte, ob Bertold IV. (1152 bis 1186) oder sein Sohn Bertold V. (1186 bis
1218) als Fundator der Stadt anzusehen sei.102 Hätten also Sattler und nach ihm
Meckseper recht, so könnte entlang der vom ältesten Markt beim Dorf Villingen
nach Freiburg führenden Straße westlich der Brigach in der Mitte des 12. Jahrhunderts
ein weiterer Markt entstanden sein, an den eine eigene Kirche angeschlossen
worden sei. Bertold V., dessen Bedeutung als Städtebauer an Freiburg im Üchtland
und Bern deutlich wird, hätte dann die sich hier herausbildenden Anfäge systematisch
weiter ausgebaut. Er dürfte dann derjenige gewesen sein, der diese Neuanlage
durch die Verleihung entsprechender Privilegien und Rechte und vielleicht sogar
durch die Erbauung einer ersten Befestigung in Gestalt von Wall, Graben und Palisaden
zu einer Stadt erhoben hätte. Infolgedessen war es durchaus berechtigt, wenn
er als Fundator der heutigen Stadt angesprochen wurde.
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