http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1985/0319
Die Autorin geht auf die Vorgeschichte der Institution in ihren alten Räumen im ehemaligen
Jesuitengymnasium ein, verfolgt die Planungsgeschichte des Neubaus ab 1891, und stellt
die Bauausführung zwischen 1897 und 1902/03 dar. An die im ersten Teil präsentierten Fakten
schließen sich Betrachtungen zur zeitgenössischen Wertung sowie eine Einordnung des
Baus unter funktionalem und architekturgeschichtlichem Aspekt an. Zur Anschaulichkeit
und Nachvollziehbarkeit der Darlegungen tragen die zahlreichen Abbildungen von Architekturzeichnungen
und historischen Photographien bei.
Aufschlußreich sind die vorgeführten Planungsvorstufen des Baus: Ein im Grundriß wie
im Aufriß zwar recht steif und hölzern wirkendes Projekt der Freiburger Bezirksbaudirektion
unter Leopold von Stengel von 1893 macht den Anfang. Gestaltet in den zur gleichen Zeit
auch im Wohnbau bevorzugten Formen der nordeuropäischen Renaissance, weist es gleichwohl
bereits die Grundrißkonfiguration auf, die auch den ausgeführten Bau prägt: Ein
gleichschenklig spitzwinkliges Dreieck, dem die Spitze abgeschnitten ist. Diese nach Westen,
zur Straßenkreuzung gerichtete Schmalseite bildet auch hier die von einem überhöhten Mittelmotiv
betonte Hauptansicht.
An Eleganz gewinnt der Entwurf durch die Überarbeitung des badischen Oberbaudirektors
Josef Dürrn im folgenden Jahr. Von ihm stammt die gestalterische Interpretation der Hauptseite
als eine Art Scharniergelenk, von dem aus die beiden Flügel auseinandergeklappt werden
. Die halbrund vorgewölbte Exedra im Westen bildet den Angelpunkt, auf den der kreis-
segmentförmige Verbindungstrakt im Osten bezogen wird. Einleuchtend ist das präsentierte
Vergleichsbeispiel eines Entwurfes für ein Berliner Museum, der im Jahr zuvor, 1893, veröffentlicht
worden war.
Schäfers Anteil an der ausgeführten Form der UB besteht demnach — neben der eigentlichen
organisatorischen Durcharbeitung der Grundrißidee — vor allem in der Gestaltung des
gotischen Gewandes des Baus: Eine Parallele zur Entstehungsgeschichte des benachbarten
Kollegiengebäudes, bei dem der von Ratzel in Renaissanceformen konzipierte Bauorganismus
ohne wesentliche strukturelle Änderungen von Billing mit einer Jugendstilhaut überzogen
und ausgestattet worden ist.
Die Ausführung des Bibliotheksbaus wurde überschattet von langwierigen Querelen. Schäfer
wurde vorgeworfen, die Betreuung des Baus vernachlässigt zu haben, was eine beträchtliche
Überschreitung der angesetzten Bauzeit und der veranschlagten Kosten verursacht habe.
Diesen Themenbereich streift die Verfasserin nur; eine weise Entscheidung, da sie sich zu diesem
Punkt durch einen Wust von Quellen hätte hindurcharbeiten müssen. Die Stimmung
während der Bauzeit mag aber durch ein Zitat veranschaulicht werden, das aus der Freiburger
Zeitung vom 6. März 1902 stammt. Der Minister v. Dusch vor dem Badischen Landtag
während einer hitzigen Debatte über den Freiburger Bibliotheksbau:
„Die Mittel, die die Regierung in der Hand hat, sind eben geringe und mitten im Bau
konnten wir dem Architekten auch nicht kündigen. Der Architekt ist ein hervorragender
Künstler, der aber mit der Genialität nicht die wünschenswerte Ordnungsliebe verbindet."
Angesichts solcher Äußerungen ist es vielleicht kein Wunder, daß — im Gegensatz zum
sonstigen Brauch — keine Einweihungsfeierlichkeit stattfand und das Gebäude auch sonst
tunlichst nicht erwähnt wurde: Offenbar wollte niemand an die skandalumwitterte Entstehungsgeschichte
erinnert werden.
Bei der Analyse und Einordnung des Baus legt die Autorin großen Wert auf die Betrachtung
der Funktionsbestimmungen und Arbeitsabläufe, wie sie durch die innere Organisation
vorgegeben wurden. Diese Frage nach der Verbindung der spezifischen Bibliotheksfunktionen
mit dem architektonischen Gest alt ungskonzept, insbesondere auch mit der gotischen
Formensprache, führt zu dem architekturgeschichtlich vielleicht interesantesten Problem, das
die Arbeit behandelt. Ein Zweckbau der Jahrhundertwende wie die UB ist nach einem ganz
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