http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1987/0325
struktur Bauerntum und Gewerbe. Theoretisch konnten die Wahlmänner ihre Wahl aus rund
6500 Wählbaren treffen, doch bei keiner Wahl gab es mehr als 100 ernsthafte Kandidaten. War
bis in die 1830er Jahre die Persönlichkeitswahl noch weitgehend vorherrschend, so wurde
diese in der folgenden Zeit zunehmend von parteipolitischen Momenten überlagert. Unter den
Abgeordneten stellten die Staats- und Kirchendiener den stärksten Anteil. Ein schichtenspezifisches
Wahlverhalten vermutet der Autor allenfalls in den Stadt wähl kreisen, wobei Karlsruhe
und die Stadt Baden wegen des starken Einflusses von Hof- und Beamtenschaft, Freiburg,
Überlingen, Durlach, Bruchsal und Wertheim wegen des hohen Anteils der Handwerker und
Kaufleute für regierungsfreundliche, Mannheim, Pforzheim, Lahr und Konstanz als Handels-
und Industriezentren für oppositionelle Kandidaten günstig waren.
Das vierte Hauptkapitel befaßt sich mit „Wahlbewegung und Wahlpropaganda". Entgegen
der von einem modernen Parteienbegriff ausgehenden und gelegentlich anzutreffenden Auffassung
, daß politische Parteien in Deutschland erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden
seien, stellt Manfred Hörner die Existenz parteiähnlicher politischer Gruppierungen während
des ganzen Untersuchungszeitraumes fest, wobei Freiburg sich schon in den frühen 30er Jahren
als Vorort der Bewegungspartei erwies. Kristallisationskerne parteilicher Organisation
wurden seit 1830 die zahlreichen Bürgermilitärcorps, die Lesegesellschaften, die Gesang- und
die Turnvereine. Als Multiplikatoren liberaler Gedanken entstanden nach 1836 in den größeren
Städten zahlreiche Zeitungen, u.a. 1842 die „Oberrheinische Zeitung" und der „Oberländer"
in Freiburg, und schufen so ein spürbares Übergewicht der oppositionellen Presse in den letzten
Jahren vor der Revolution 1848/49. Noch in den Jahren 1832 — 1834 waren die der liberalen
Seite zuneigenden Blätter von der Regierung verboten worden. Analog zu der Tatsache,
daß die Landtagswahlen bis Ende der 30er Jahre in einem engen lokalen oder regionalen Rahmen
verliefen, spielte sich der Großteil der Wahlkampfaktivitäten über persönliche Gespräche
auf den Rats- und Amtshäusern sowie in Gasthöfen und Vereinen ab. Zaghafte Ansätze einer
nicht von Wahlterminen abhängigen Wahlkreisarbeit zeichneten sich erst 1841/42 ab, erstmals
wurden auch in größerem Umfang Flugschriften eingesetzt. Die konservativen Kräfte blieben
aber noch bis 1846, als sich Versuche zu größerer Selbständigkeit abzeichneten, weitgehend
auf Regierung und Beamtenschaft angewiesen, während auf oppositioneller Seite bereits sechs
Jahre zuvor erste zentrale Koordinations versuche unternommen wurden.
Die Ergebnisse Hörners weisen nach, daß seine Arbeit einerseits eine Lücke in der badischen
Geschichtsschreibung füllt, andererseits aber einen fundierten Beitrag zur deutschen
Parteien- und Wahlgeschichte des 19. Jahrhunderts liefert. Die auch nach der Entstehung einer
offiziellen Wahlstatistik noch erheblichen Probleme der Beschaffung tragfähiger Daten hat der
Autor, soweit dies überhaupt möglich war, gelöst. Aus den umfangreichen einschlägigen Beständen
des Generallandesarchivs Karlsruhe und zu einem kleineren Teil des Hauptstaatsarchivs
München wurden Archivalien aus rund 150 (!) Stadt- und Gemeindearchiven herangezogen
. Durch diese umfangreichen Archivarbeiten erhält die Studie trotz der generell
schwierigen Quellensituation in der Frühzeit der deutschen Parteien- und Wahlentwicklung ein
vorbildliches Fundament für die am Schluß eines jeden Kapitels übersichtlich zusammengefaßten
schlüssig hergeleiteten Ergebnisse. Wer sich künftig mit der badischen Geschichte im
Vormärz, darüber hinaus allgemein mit der deutschen Parteien- und Wahlgeschichte im
19. Jahrhundert beschäftigt, wird um die durch ein geographisches, ein Personen- und ein
Sachregister erschlossene Arbeit von Manfred Hörner nicht herumkommen. Abschließend
bleibt nur der hohe Preis von 148.— DM zu bedauern. Ernst Otto Bräunche
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