http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1987/0326
Manfred Bosch: Als die Freiheit unterging. Eine Dokumentation über Verweigerung, Widerstand
und Verfolgung im Dritten Reich in Südbaden. Südkurier Verlag Konstanz 1985. 352 S.
Seit der Ausdehnung und Erweiterung des Widerstansbegriffes in der historischen Forschung
ab Mitte der 60er Jahre haben regionalgeschichtliche Darstellungen über unterschiedliche Formen
der Nichtanpassung, Verweigerung sowie passiven Resistenz ebenso wie Berichte über
Leiden und Erduldungen des Nazi-Terrors einen festen Platz in der Historiographie des Alltags
während der NS-Zeit; dies wurde exemplarisch durch das vom Institut für Zeitgeschichte in
München betreute und 1877 — 1982 in sechs Bänden herausgegebene Serienwerk „Bayern im
NS-Staat" dokumentiert. Eine vergleichbare umfangreiche Publikation für Baden liegt bislang
nicht vor. So ist es begrüßenswert, daß Manfred Bosch gleichsam als Nachweis der vielfaltigen
, in der Regel nicht auf einen einzigen Nenner zu bringenden Opposition gegen Hitler eine
detailreiche Dokumentation über „Verweigerung, Widerstand und Verfolgung im Dritten Reich
in Südbaden" zusammengestellt hat. Sie ergänzt die bisherigen Arbeiten von Jörg Schadt (Verfolgung
und Widerstand unter dem Nationalsozialismus in Baden. Hrsg. v. Stadtarchiv Mannheim
. Stuttgart 1976) und Bettina Wenke (Interviews mit Überlebenden. Verfolgung und Widerstand
in Südwestdeutschland. Stuttgart 1980 — Wenkes Publikation fehlt jedoch in Boschs
Literaturverzeichnis).
In erster Linie nicht als wissenschaftlich-historische Studie, sondern als eine „für weite
Kreise lesbare Abhandlung" geschrieben (S. 7), sind in Boschs Buch bisher meist ungedruckte
, gröstenteils unbekannte Texte wiedergegeben, welche die vielschichtige Alltagswirklichkeit
der NS-Zeit belegen. Das Material umfaßt in zehn Hauptabschnitten, sowohl Selbstzeugnisse
als auch amtliche Materialien, aus der Sicht der sogenannten „Verfolgerperspektive"
der Nazis. Dem Autor gelingt es dadurch, die „Nischen für eigenverantwortetes Denken und
Handeln" einzelner Personen herauszuarbeiten, so daß die Publikation auch als „Beitrag zur
demokratischen Traditionsbildung im deutschen Südwesten" anzusehen ist (S. 8).
In den ersten Kapiteln skizziert Bosch in Anlehnung an den chronologischen Ablauf der Ereignisse
unter der Überschrift „Demokratie auf verlorenem Posten" die „Durchsetzung des
Nationalsozialismus in Südbaden" von 1923 bis 1932 sowie „Gleichschaltung und Ausbau der
NS-Herrschaft" in den Jahren 1933/34. Er weist daraufhin, daß sich der Aufstieg der NSDAP
in Südbaden durch den Einfluß des politischen Katholizismus „verhaltener" als in Nordbaden
und erst nach der allmählichen „Rechtsentwicklung" des Zentrums unter Prälat Kaas und
Reichskanzler Brüning vollzog (S. 12f.). Gleichwohl bot die Dauerkrise der Landwirtschaft
gerade in Baden, wo etwa 37 Prozent der Bevölkerung im land- und forstwirtschaftlichen Bereich
tätig waren, ein nicht zu unterschätzendes „wichtiges Reservoir" für den Nationalsozialismus
(S. 11) und dessen Etablierung. Die agrarische Struktur Badens erschwerte zugleich die
Widerstandsarbeit der Linksparteien (KPD, SPD, Internationaler Sozialistischer Kampfbund
— ISK, Sozialistische Arbeiterpartei — SAP). Lange behinderten aber auch politische Differenzen
— so in der Einschätzung der Dauer der NS-Herrschaft oder bei der Bewertung des
„Einheitsfrontkonzeptes" — die effektive Arbeit der Linksgruppierungen in Südwestdeutschland
, das aufgrund der Nähe zu Frankreich und der Schweiz weniger ein Zentrum aktiven
Kampfes als vielmehr ein geeignetes Transitgebiet für das Einschmuggeln illegaler Flugblätter
und Druckschriften sowie für den Grenzübertritt verfolgter und gefährdeter Menschen war.
Die Risikobereitschaft des Einzelnen wird in dem Abschnitt „Zwischen Anpassung und Opposition
" vorrangig durch das schillernde Feld der Nonkonformität und nur selten durch
„prinzipielle Kritik" dokumentiert. Bosch konstatiert, daß sich allenfalls Teile der Arbeiterschaft
zu grundsätzlicher Opposition bereitfanden; zudem sei das Verhalten der NS-Führung
gegenüber den in Südbaden stark vertretenen landwirtschaftlichen und bäuerlichen Bevölkerungsgruppen
„von einer gewissen Rücksicht und Zurückhaltung" geprägt gewesen (S. 106),
so daß es nur selten zur direkten Herausforderung kam.
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