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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
107.1988
Seite: 238
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denen SA-Führern kam das Gerede von der notwendigen zweiten Revolution auf, und
der Stabschef der SA, Ernst Röhm, ließ den Wunsch erkennen, die SA als Milizheer
in die bewaffnete Macht einzubauen. Hitler verhinderte im Blutbad des 30. Juni 1934
diese Entwicklung; Röhm, eine Reihe höherer SA-Führer und sonstige dem Regime
mißliebige Personen wurden ermordet. Von diesem Zeitpunkt an war die SA zur
Machtlosigkeit verdammt; die Massenorganisation hatte keine realen Aufgaben und
keine Daseinsberechtigung mehr, sie war aber erfüllt von der Erinnerung an die sogenannte
Kampfzeit, voller Geltungsbedürfnis und gleichzeitig voller Frustrationen. In
Erkenntnis dieser Situation und möglicherweise künftiger Gefahren für das Regime,
die sich in dem brachliegenden Aktivismus der SA aufstauen konnten, äußerte Hitler
in seinem Gespräch am 9. November 1938 mit Goebbels: „Die SA soll sich mal
austoben".23

So wurde die SA „von der Kette gelassen"; den einzelnen SA-Männern fielen die
Verbrechen um so leichter, als sie befohlen waren und gemeinschaftlich verübt wurden
. Handeln zu mehreren erleichtert erfahrungsgemäß das Gewissen des Einzelnen,
ja stimuliert ihn.

An vielen Orten, insbesondere in den Großstädten, heftete sich an die Fersen der
befohlenen Akteure der in aller Welt stets zu Gewalttaten bereite Mob, so daß es in
den folgenden Tagen selbst dem NS-Regime nicht immer gelang, die Ausschreitungen
so schnell abzustoppen, wie man es wollte.

Es gab Fälle, in denen SA- oder SS-Männer persönliche Rache an Juden nahmen,
mit denen sie geschäftlich oder beruflich zu tun gehabt hatten. Es gab aber auch SA-
Männer, die sich weigerten, an den Verbrechen teilzunehmen, und an deren Stelle
dann andere geschickt wurden, insbesondere gilt dies für kleinere Orte. Zuweilen
taten SA-Männer nur scheinbar das ihnen Befohlene. So berichtete ein jüdischer
Rechtsanwalt aus Erfurt, daß er mit anderen Juden in eine Turnhalle gebracht worden
sei: „An einem Tisch wurden meine Personalien festgestellt, dann wurde ich von
zwei Männern ergriffen und in einen Waschraum geführt. Hier standen zwei SA-
Männer mit Knüppeln, die uns offenbar verhauen sollten. Einer erhob den Knüppel
und berührte mich damit. Der andere sagte: ,Schrei, was Du kannst4, was ich tat. Sie
wollten offensichtlich ihren Befehl zum Schlagen umgehen".24

Die Haltung der Bevölkerung

Die Haltung der Bevölkerung gegenüber dem Pogrom reichte von Zustimmung, Passivität
und stiller Verurteilung bis zu Äußerungen des Mißfallens und aktiver Hilfe
für die Juden. Am 10. November 1938 wandten sich vier aktive Seeoffiziere, unter
ihnen der Kapitän zur See Dönitz, über ihre Vorgesetzten an den damaligen Oberbefehlshaber
der Marine, Generaladmiral Raeder, und nahmen gegen die Behandlung
der Juden Stellung. Raeder trug diese Einwände auch Hitler vor, der sie beiseite
wischte. Die Marineoffiziere hatten damals beim Aufbau der Kriegsmarine bewußt
ihre Laufbahn aufs Spiel gesetzt. Es erfolgte jedoch keine Reaktion gegen sie. Dem
damaligen Oberstaatsanwalt in Freiburg teilten Gendarmeriebeamte aus verschiedenen
Orten mit, „daß weiteste Kreise unserer eingesessenen Bevölkerung das Vorgehen
der SS gegen Synagogen und die jüdischen Einwohner stark verurteilten".

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