http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1989/0106
vorderösterreichischen Landstände stellen. Der Archivar aus dem 18. Jahrhundert ♦
setzt bei seiner Archivordnung als selbstverständlich voraus, daß die Landstände zu
irgend einem Zeitpunkt förmlich „gegründet" worden sein müssen und es daher auch
entsprechende Dokumente aus ihrer Anfangszeit geben müsse. Im Gegensatz dazu
geht die neuere Forschung davon aus, daß die Landstände aus einem evolutionären
Prozeß heraus entstanden sind und es daher solche „Gründungsurkunden" gerade
nicht geben kann. Aufgrund dieses Forschungsansatzes kann man bei der Suche nach
Zeugnissen landständischer Geschichte gerade nicht auf landständische Akten zurückgreifen
, sondern man muß daher den Bereich der landesfürstlichen Verwaltung
nach Archivalien absuchen. Die Klassifizierung des st. blasischen Archivars zeigt
auch deutlich, daß die Akten der Landtage, dem eigentlichen institutionellen Aktionsforum
der Landstände, nur einen Teil der landständischen Akten ausmachen und
es darüber hinaus zahlreiche weitere Schriftstücke gibt, die nicht klar den Landständen
oder der Regierung zugeordnet werden. Bei diesem letzten Posten hat der Archivar
die Einrichtung des landständischen Konsesses vor Augen, die die Selbständigkeit
der Landstände stark beschnitt und sie quasi zu einer landesfürstlichen Behörde oder
zumindest zu einem verlängerten Arm der vorderösterreichischen Regierung degradierte
. Diese Einrichtung des landständischen Konsesses, die 1764 erfolgte, wird dadurch
auch zu einem Anhaltspunkt der Datierung dieser Archiveinteilung, die einige
Jahre danach, also am Ende des 18. Jahrhunderts, erfolgt sein muß.
Doch mit der napoleonischen Neuordnung des ehemaligen Heiligen Römischen
Reiches Deutscher Nation endete 1805 auch die Geschichte Vorderösterreichs und
seiner Landstände. Entsprechend dem Territorium wurden die Aktenbestände unter
den Nutznießern dieser territorialen Auflösung aufgeteilt und damit alte Zusammengehörigkeiten
zerstört. Wenn heute ein Historiker nach Archivbeständen vorderösterreichischer
Provenienz sucht, stellen sich ihm aber nicht nur die Probleme der zu Beginn
des 19. Jahrhunderts vollzogenen Archivalienaufteilung. Auch die Bezeichnung
„Vorderösterreich" sorgt für erhebliche Schwierigkeiten, da dieser Begriff zu unterschiedlichen
Zeiten mit von einander stark differierenden Raumvorstellungen verknüpft
war. Daher ist im folgenden zuerst der Begriff „Vorderösterreich" kurz zu erläutern
, um dann in weiteren Abschnitten die Entstehung der Archive und den
Verbleib der Archivalien von Regierung und Landständen darzustellen. Schließlich
sollen die Archivalien der vorderösterreichischen Landstände auch nach ihrer Perti-
nenz — mit Schwerpunkt auf dem 15. und 16. Jahrhundert —, und den Fundkriterien
zusammengestellt werden. Dabei sollen auch Sekundärwerke (Handschriften) mit
zum Teil sehr großem historischen Wert berücksichtigt werden, die sich ganz oder
teilweise den Landständen widmeten.
Mit der Bezeichnung Vorderösterreich wird meist die Gesamtheit aller österreichischen
Territorien und Besitzungen nördlich von Arlberg und Fernpass tituliert. Diese
Begrifflichkeit orientiert sich an der im 18. Jahrhundert üblichen Terminologie, an
die sich auch Friedrich Metz mit dem vom ihm herausgegebenen Sammelband Vor-
derösterreich anlehnt.4 Eine unreflektierte und undifferenzierte Übernahme dieses
Vorderösterreich-Begriffes ist jedoch wenig sinnvoll, da unter ihm eine Vielzahl unterschiedlicher
Komplexe subsummiert sind und sich die territorialen Verhältnisse im
Laufe der Geschichte der österreichischen Gebiete im Südwesten des Alten Reiches
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