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Hause offensichtlich in Reinschrift geschrieben und hat breite Ränder, auf denen Ergänzungen
notiert sind.
Die zweite Vorlesungsmitschrift wurde von Hermann Carl Matthäus Engesser aufgeschrieben
. Dieser wurde am 19. April 1846 in Karlsruhe geboren; sein Vater war
Baupraktikant. Er studierte in Freiburg Medizin und wurde 1870 als Student Assistent
Kußmauls. 1872 promovierte er in Freiburg und wurde Assistent der Ambulanz der
Klinik. 1874 habilierte er sich über Nervenpathologie und hielt darüber auch Vorlesungen
. Er ist 1892 in Freiburg gestorben.80 Seine Mitschrift, Format 20 x26,5 cm,
liegt zweibändig, ebenfalls in Halbleder gebunden, vor. Sie enthält breite Ränder mit
Zeichnungen, die den Text erläutern (vgl. Abb.). Die Mitschriften sind beide in altdeutscher
Schrift geschrieben und schwierig zu entziffern. Kußmauls Vorlesungen
sind systematisch aufgebaut, indem die Krankheiten, nach Organsystemen unterteilt,
abgehandelt werden. Sie beginnen mit den „Krankheiten des Cirkulationstractes",
unterteilt in solche des Herzens, der Aorta und der Venen; sie fahren fort mit den
Krankheiten der Respirationsorgane usw. Das einzelne Krankheitsbild wird so dargestellt
, daß nach einführenden Bemerkungen über die Geschichte, die Ätiologie, d.h.
die Ursache der Krankheit abgehandelt wird. Sodann wird die pathologische Anatomie
besprochen; es folgen die Symptome oder klinischen Erscheinungen und die
Diagnose; abgeschlossen wird die Erörterung mit ausführlichen Angaben zur Therapie
, wobei auch ganz konkret Rezepte aufgeschrieben werden. Manchmal heißt es dabei
„Kußmaul verfahrt so", und es werden Ratschläge aus seiner eigenen Erfahrung
niedergeschrieben.
Die beiden Vorlesungen unterscheiden sich inhaltlich kaum, allerdings steht eine
genaue, vergleichende Analyse noch aus. Diesen theoretischen Vorlesungen standen
die praktisch-klinischen zur Seite, in denen Patienten demonstriert wurden und die
z. T. auch am Krankenbett selber abgehalten wurden. Hierüber kenne ich keine ausführlichen
Mitteilungen. Jedoch berichtet O. Körner, der in Straßburg zunächst Student
und von 1883—85 Assistent Kußmauls war, in seinen „Erinnerungen" über Kußmaul
als klinischen Lehrer. Anders als dort geschildert, wird es auch in Freiburg
nicht gewesen sein: „In der Klinik trat er [Kußmaul] uns weniger als berühmter
Mann der Wissenschaft gegenüber, wie als schlichter Freund und Helfer seiner Kranken
. Die anspruchslose Betätigung einer menschenfreundlichen Gesinnung schien
uns der hervorragendste Zug seiner Persönlichkeit zu sein. Er lehrte Humanität nicht
mit Worten, sondern durch sein Beispiel, denn er war unablässig um das Wohl eines
jeden, auch des Geringsten seiner Kranken besorgt und begegnete denen, die sich der
Unannehmlichkeit einer Vorstellung vor versammelter Klinik unterziehen mußten,
mit aller möglichen Rücksicht. Seine Sorge um das Wohl der Kranken war so groß,
daß er einmal einen fleißigen und kenntnisreichen Examenskandidaten durchfallen
lassen wollte, weil er einen Schwerkranken zuviel mit Fragen und Untersuchungen
gequält hatte. Täglich machte er die Visite mit den Assistenten und Anamnesen von
Bett zu Bett und untersuchte dabei viel und gründlich. Ein bekannter Kliniker, der
einst die Visite mitmachte, rief erstaunt aus: Aber Herr Kollege, Sie kennen ja jeden
Kranken! Seine Achtung vor den grundlegenden Fächern der Heilkunde, namentlich
der pathologischen Anatomie und Physiologie war groß, und die volle Ausnutzung
ihrer gesicherten Lehren am Krankenbett für ihn selbstverständlich. Aber schonungs-
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